BEWEGT SEIN IM KLANGRAUM FÜR

MENSCHEN MIT DEMENZ

 

DIPLOMARBEIT von Peter Hürlimann

Felsenstrasse 3, 4450 Sissach,
www.pesche-percussion.ch

September 2016

 

 

 

Im Rahmen der 3- jährigen berufsbegleitenden Ausbildung

Körperorientierte Musik - Rhythmus und Stimme - Bewegung und Tanz

 

iac Integratives Ausbildungszentrum

Ausstellungsstrasse 102, 8031 Zürich

Während der Zeit vom 20.04.1012 bis 22.03.2015

Unter der Leitung von Rainer Brückmann

 

 


Vorwort

 

Das Thema, welches ich für die Diplomarbeit gewählt habe, steht in engem Zusammenhang mit meiner Berufserfahrung als Musiker, Musiklehrer und mit meiner langjährigen Praxis in der Betreuung und Begleitung von Menschen. Anfangs als Spielgruppenleiter, später in der Betreuung in einer Wohngruppe der Interessengemeinschaft Sozialpsychiatrie Bern und seit 4 Jahren als Betreuer in der Tagesstätte im Atrium für Menschen mit Demenz. Um mein Knowhow zu erweitern, entschloss ich mich, berufsbegleitend die Ausbildung für körperorientierte Musik Tanz am iac zu machen. Präsent sein, den Menschen unabhängig von musikalischem Können und instrumentaltechnischem Wissen dort abzuholen, zu begleiten und zu fördern, wo sich dieser individuell gerade befindet, ist eine der wichtigsten Lernerfahrungen, neben vielen weiteren. Die Art und Weise wie Rainer Brückmann unterrichtet, entspricht zum grössten Teil meinen, sowie den Grundsätzen unserer Tagesstätte in Bezug auf den Umgang mit Menschen: Ein wertfreies Zusammen sein, in hohem Mass mit Respekt die Qualitäten eines Einzelnen einfliessen zu lassen, damit ein farbenfrohes Ganzes zum Blühen kommt. Nach jahrelanger intensiver Auseinandersetzung mit Perkussionsinstrumenten und Rhythmen aus Afrika, Kuba, Brasilien usw. habe ich mich wieder an meinen musikalischen Ursprung zurückerinnert. Ein prägendes Erlebnis aus dieser Zeit war das Flötenspiel. In der 1. Klasse begeisterte mich dies sehr, so dass ich mit Freude improvisierte und spielte, bis ich ein Lied, ohne Noten zu lesen, spielen konnte. Anfänglich lobte mich meine Flötenlehrerin. Als sie jedoch merkte, dass ich nur so tat, als ob ich ab Blatt spielen könne, war der Spass vorbei. Die weitverbreiteten Vorstellungen, was ein guter Musiker ausmacht, sind in unserer Gesellschaft stark geprägt von Leistung, Wertung und wird oft nur einer ausgebildeten Elite zugetraut. Das Musizieren ab Notenblatt nahm mir zu dieser Zeit die Freude und Zuversicht am Flötenspiel. Auf Grund dieser Umstände glaubte ich von dem Moment an, dass dies sicher nichts für mich sein kann. Erst Jahre später entwickelte ich erneut eine Leidenschaft zum Musizieren. Ausschlaggebend war das Auftreten eines Meistertrommlers von der Elfenbeinküste. Wenn dieser jeweils mit einer Tänzerin auf der Strasse aufspielte, ergriff mich schon von weitem eine geheimnisvolle Magie. Mein Herz begann schneller zu schlagen, ich fühlte mich unwiderstehlich angezogen und begann spontan zu tanzen. Emotional zutiefst ergriffen begab ich mich von diesem Tag an in die Welt der Rhythmen und des Tanzes. Nach jahrelangem intensivem Studium der komplexen Rhythmen und Spieltechniken aus afrikanischer, kubanischer und brasilianischer Kultur, stellte ich fest, dass auch ich mir mittlerweile etwas Elitäres angeeignet hatte. So wurde ich ungeduldig, wenn meine Trommelschüler/innen anstelle von ambitioniertem Üben lieber nur einmal die Woche in den Kurs kamen um gemeinsam zu Trommeln. Ebenso war ich entsetzt, wenn sich jemand wagte auf einer Trommel ohne die entsprechende spezifische Technik zu kennen, einfach mal drauflos zu hauen. Dabei hatte ich doch genauso angefangen.

 

Die Zeit war reif und ich begann meine Vorstellungen von Musizieren, Tanzen und Bewegen erneut zu überprüfen. Aus dieser Reflexion floss die Entscheidung, mich für die Ausbildung am iac anzumelden. Im Verlauf dieser Ausbildung begab ich mich auf eine neue musikalische Reise, welche sehr bereichernd, inspirierend und voller positiver Überraschungen war. All die neu gewonnenen Erfahrungen beeinflussen meine Art, wie ich heute den Musikunterricht gestalte. Insbesondere die Vision und Umsetzung des Klang- und Bewegungsraumes im Atrium, in der Tagestätte für Menschen mit Demenz, konnte dank den neu erarbeiteten Grundlagen realisiert werden.

 

Ein weiteres Wirkungsfeld wird massgebend beeinflusst und von neuem genährt mit den Früchten der iac Ausbildung: Im Raum für Tanz-Musik-Bewegung-Rhythmus in Sissach bieten meine Partnerin Simone Kaiser und ich freies Tanzen mit live Musik an, sowie diverse Workshops und Anlässe im Bereich Musik, Tanz, Ritualgestaltung, Kunsttherapie und weiteres. Auch extern sind wir unterwegs für Projekte, Weiterbildungen, Events und Animationen.

 

An dieser Stelle spreche ich meinen herzlichen Dank aus an:

 

Die Menschen welche von Demenz betroffen sind, mit denen ich gemeinsam zu tiefst bewegende und klingende Momente erleben durfte und in ihrem Sinne zu dieser Arbeit beigetragen haben.

 

Rainer Brückmann für seine einmalige, von seiner Persönlichkeit geprägte, kompetente und hingebungsvolle Art, wie er am iac unterrichtet.

 

Irene Leu (Leitung Geschäftsstelle & Atrium, Stiftung Basler Wirrgarten) und
Karin Beyeler-Hartmeier (Leitung Tagesstätte im Atrium) sowie das gesamte Atrium-Team, welches mich unterstützte und sich dafür einsetzte, dass ich berufsbegleitend die Ausbildung am iac machen konnte und der Klangraum in der Tagesstätte realisiert werden konnte.

 

Simone Kaiser mit ihrer innovativen, erfrischenden, stets positiven Persönlichkeit, und wie sie gemeinsam mit mir Visionen in künstlerischen Bereichen zum Leben erweckt und mit mir den Alltag mit all den Freuden und Sorgen teilt.

 

Sarah und Nina, meine beiden Töchter und Zoé, die Tochter meiner Partnerin, denen ich viele bewegte und berührende Momente in meinem Leben verdanke.

 

All meinen Freunden und Freundinnen aus aller Welt mit denen ich ein Stück gemeinsam gehen durfte und die mich in so mancher Hinsicht inspirierten, sei es musikalisch oder auf menschlicher Ebene.

 

Meinen Eltern die mir das Leben schenkten und meinen Geschwistern mit denen ich kindliche Leichtigkeit im Spiel teilen durfte.

 

 


Inhaltsverzeichnis

 

 

 

Vorwort............................................................................................................................................ 2

 

Inhaltsverzeichnis.............................................................................................................................. 4

 

1 Ausgangshypothesen...................................................................................................................... 7

 

1.1 Hypothese 1: Die urmenschlichen Bedürfnisse nach Kitwood können auf den Klangraum und unsere Tagesgäste bezogen, erfüllt werden................................................................................................................. 7

 

1.1.1 Person-zentrierte Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz (MmD) nach Tom Kitwood:         7

 

1.2 Hypothese 2: Interaktion und klare Führung sind von grundlegender Bedeutung. Bindung und Vertrauen lässt Neues entstehen........................................................................................................................... 7

 

1.2.1 Beobachtung Im Alltag:...................................................................................................... 7

 

2 Begegnungs- und Betreuungsstätte Atrium...................................................................................... 9

 

2.1 Leitbild.................................................................................................................................... 9

 

2.2 Betreuung............................................................................................................................... 9

 

2.3 Die Tagesstätte........................................................................................................................ 9

 

3 Formen der Demenz..................................................................................................................... 10

 

3.1 Verhaltens- und psychologische Symptome............................................................................. 10

 

3.1.1 Depression...................................................................................................................... 10

 

3.1.2 Angst............................................................................................................................... 10

 

3.1.3 Verhaltensstörungen: Unruhe, Impulsivität, Aggressivität.................................................. 10

 

3.1.4 Antriebsstörungen: Apathie, Interessenlosigkeit................................................................ 11

 

3.1.5 Psychotische Symptome................................................................................................... 11

 

3.1.6 Katastrophenreaktionen................................................................................................... 11

 

3.2 Kognitive Symptome der Demenz............................................................................................ 11

 

3.2.1 Gedächtnisstörung........................................................................................................... 11

 

3.2.2 Aphasie........................................................................................................................... 12

 

3.2.3 Apraxie............................................................................................................................ 12

 

3.2.4 Störung der Exekutivfunktionen........................................................................................ 12

 

4 Sinn und Zweck des Klangraumes, sowie die damit verbundenen Anforderungen und Bedingungen. 13

 

4.1 Vision.................................................................................................................................... 13

 

4.2 Was für Möglichkeiten bietet der Klangraum den Menschen mit Demenz................................. 13

 

4.3 Wichtige Anforderungen/Bedingungen an Begleitpersonen und Institutionen........................... 14

 

4.4 Der Anteil der Betreuungsperson an der Interaktion................................................................ 14

 

4.5 Wichtige Anforderungen/Bedingungen an die Infrastruktur...................................................... 15

 

5 Entstehung und Idee des Konzepts Klang- & Bewegungsraum im Atrium......................................... 16

 

5.1 Planung................................................................................................................................. 16

 

5.1.1 Instrumente..................................................................................................................... 16

 

5.1.2 Der Raum........................................................................................................................ 16

 

5.2 Aufbauphase.......................................................................................................................... 17

 

5.2.1 Ausprobieren und Erfahrungen sammeln in der Praxis....................................................... 17

 

5.3 Erste Auswertung während der Aufbauphase.......................................................................... 18

 

5.4 Realisierung........................................................................................................................... 19

 

5.4.1 Budgetantrag für Instrumente und Raum-Einrichtung........................................................ 19

 

5.5 Eröffnung Klang- & Bewegungsraumraum im Atrium................................................................ 20

 

5.6 Input für Interessierte im Klang- & Bewegungsraum................................................................. 21

 

5.6.1 Anleitung zum Input......................................................................................................... 21

 

6 Praxiserfahrungen......................................................................................................................... 23

 

6.1 Bereits bestehende Angebote vor der Realisierung des Klangraumes........................................ 23

 

6.1.1 Singen............................................................................................................................. 23

 

6.1.2 Gymnastik....................................................................................................................... 23

 

6.1.3 Thé dansant..................................................................................................................... 24

 

6.1.4 Konzerte.......................................................................................................................... 24

 

6.2 Praxiserfahrungen – Klang- und Bewegungsraum während der Planung und Aufbauphase......... 24

 

6.2.1 Rüdlingen-Ferienwoche.................................................................................................... 24

 

6.3 Fallstudien von Tagesgästen einzeln und in der Gruppe............................................................ 25

 

6.3.1 In der Tagesstätte im Atrium, Basel................................................................................... 25

 

6.3.2 Dokumentation................................................................................................................ 26

 

6.3.3 Fallbeispiel 1.................................................................................................................... 26

 

6.3.4 Fallbeispiel 2.1................................................................................................................. 28

 

6.3.5 Fallbeispiel 2.2................................................................................................................. 30

 

6.3.6 Fallbeispiel 3.................................................................................................................... 31

 

6.4 Zusammengefasste Erkenntnisse............................................................................................. 33

 

7 Externe Projekte........................................................................................................................... 34

 

7.1 Klang und Bewegung im Wohnheim Roderis für Menschen mit Behinderung............................. 34

 

7.2 Freies Tanzen zu Musikimprovisationen im Klangraum mit Profimusikern................................. 35

 

7.3 Meine Lernerfahrungen am iac............................................................................................... 36

 

7.3.1 Stimme............................................................................................................................ 37

 

7.3.2 Rhythmus........................................................................................................................ 37

 

7.3.3 Instrumente..................................................................................................................... 37

 

7.3.4 Anleitungen von Gruppen................................................................................................. 37

 

7.3.5 Weitere Erkenntnisse der 3-jährigen Ausbildung am iac..................................................... 38

 

8 Andere Theorien / Parallelen / Wiedersprüche............................................................................... 38

 

8.1 Decker-Voigt, Wenn MmD Worte nicht mehr verstehen ist die Musik der Stimme wesentlich.... 38

 

8.1.1 Von der Begabung, auf Sprache zu verzichten.................................................................... 38

 

8.1.2 Stimmen sind Signale....................................................................................................... 39

 

8.1.3 Vitalitätsaffekte und Musikerleben................................................................................... 39

 

8.1.4 Welch Musik passt für wen und wann............................................................................... 39

 

8.1.5 Dieses Instrument kann ich nicht mehr spielen.................................................................. 40

 

8.1.6 Dieses Instrument habe ich nie gelernt…........................................................................... 40

 

8.2 Barbara Gindl, die Resonanz der Seele..................................................................................... 40

 

8.3 Anna Halprin / Alter schützt vor Tanzen nicht.......................................................................... 41

 

8.4 Monika Renz / Zwischen Urangst und Urvertrauen................................................................... 42

 

8.5 Reinhard Flatischler / TaKeTiNa Ur-Kraft Rhythmus.................................................................. 42

 

8.6 Die Ursprünge der Person-zentrierten Pflege........................................................................... 42

 

9 Überprüfung, Reflektion................................................................................................................ 43

 

9.1 Methoden.............................................................................................................................. 43

 

9.2 Fragestellung......................................................................................................................... 43

 

9.3 Zusammenfassend................................................................................................................. 45

 

9.4 Literaturverzeichnis................................................................................................................ 46

 

 

 

1 Ausgangshypothesen

 

1.1 Hypothese 1: Die urmenschlichen Bedürfnisse nach Kitwood können auf den Klangraum und unsere Tagesgäste bezogen, erfüllt werden.

 

1.1.1 Person-zentrierte Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz (MmD) nach Tom Kitwood:

 

Person sein ist ein Stand oder Status, der dem einzelnen Menschen im Kontext von Beziehung und sozialem Sein von anderen verliehen wird. Er impliziert Anerkennung, Respekt und Vertrauen. Ob jemandem Person sein zuerkannt wird oder nicht: Beides hat empirisch überprüfbare Konsequenzen. Tom Kitwood 1997

 

  • Jeder Mensch muss vermittelt bekommen, dass er/sie etwas wert ist, für andere zählt. Wer vermittelt dies einem Menschen mit Demenz?

  • Das Ich entwickelt sich und wird erhalten durch eigenes Tun. Was kann und darf ein MmD tun, in welche Aktivitäten wird er eingebunden?

  • Jeder Mensch braucht das Gefühl, mit anderen befriedigend in Kontakt treten zu können – anzusprechen und angesprochen zu werden. Für wen ist ein MmD interessant?

  • Jeder Mensch braucht Hoffnung und Urvertrauen. Wer vermittelt das Gefühl, dass es gut ist, dass für alles gesorgt ist, dass Umwelt und Beziehungen sicher sind und ein gnädiger Gott auf den Menschen wartet?

  • Der wichtigste Unterschied ist darin zu suchen, dass bei MmD diese genannten Bedürfnisse in fortschreitendem Masse nur in Beziehung zu anderen Menschen gestillt werden können.

  • Zentrales psychologisches Bedürfnis von MmD ist: bedingungsloses, grosszügiges, versöhnliches Annehmen des Anderen ohne die Erwartung einer Gegenleistung.

     

 

1.2 Hypothese 2: Interaktion und klare Führung im Klangraum sind von grundlegender Bedeutung. Bindung und Vertrauen lässt Neues entstehen.

 

1.2.1 Beobachtung Im Alltag:

 

Der Alltag bedeutet für Menschen mit Demenz, sich einer Unmenge von Herausforderungen zu stellen, von denen viele kaum erfüllbar erscheinen. In der Tagesstätte beobachte ich, wie MmD ihren Improvisationsgeist nutzen, um sich den Herausforderungen zu stellen, kreative Lösungen suchen und manchmal auch unkonventionelle Wege zur Lösung führen. Oft bleiben die MmD jedoch stecken, und wirken verzweifelt und hilflos. Mit einer klaren Führung und Hilfestellung im Sinn von Aufwertung und Einbeziehen der vorangegangenen Bemühungen ihrerseits, ist es oft möglich, basierend auf Bindung und Vertrauen, gemeinsam einen Weg zu gehen. Ich arbeite im Klangraum hauptsächlich ressourcenorientiert mit den Tagesgästen und versuche herauszufinden, welches ihre Fähigkeiten sind um sie darin zu bestärken und zu unterstützen. Ihnen soll eine möglichst grosse Selbstbestimmung und Handlungsspielraum offenbleiben.  Abgesehen davon gibt es auch die tragischen und schmerzlichen Momente, wenn eben trotz Improvisationsgabe, gutem Willen und allem was möglich ist, eben nichts mehr möglich scheint. Auch dies gilt es mitzutragen, den Weg ein Stück weit gemeinsam zu gehen und auszuhalten. Klare Führung ist in dem Sinne zu verstehen, dass wir auf jegliche Form von Zwang sowie Macht ausüben und Aufdrängen von Etwas verzichten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Feuertanz mit Rahmentrommeln, Rasseln und Vogelflöten. Beim Vorbereiten unseres Grilltages während den Ferien für Menschen mit Demenz in Rüdlingen.

 

 

 

2 Begegnungs- und Betreuungsstätte Atrium

 

2.1 Leitbild

 

Wir anerkennen die Demenzerkrankungen (u.a. Alzheimerkrankheit) als irreversible hirnorganische Prozesse. Wir kennen die Symptome der Demenz und deren Auswirkung auf die Betroffenen und auf die Pflegenden. Wir anerkennen die grundlegenden physiologischen und sozialen menschlichen Bedürfnisse und richten unsere Arbeit danach aus. Die Bedürfnisse der Demenzkranken nach Bindung, Angenommen sein und Beschäftigung liegen uns dabei besonders am Herzen. Wir lassen Angehörige, professionell Pflegende und alle am Thema Interessierte von unserem Wissen und unserer Erfahrung profitieren.
Wir erachten die Arbeit mit Demenzkranken als grösste Herausforderung in der Langzeitpflege und unterstützen die Pflegenden mit entsprechenden Arbeitsbedingungen und Weiterbildungsmöglichkeiten. Wir berücksichtigen die Individualität der Demenzkranken und schützen deren Integrität. Wir anerkennen die Angehörigen als kompetente Partner und wir begleiten sie ressourcen- und problemlösungsorientiert. Die Arbeitsweise ist systemisch. Es ist unser Anliegen, wo immer es uns möglich ist, für die Demenzerkrankungen und insbesondere für die enorme Belastung der Angehörigen zu sensibilisieren.

 

 

 

2.2 Betreuung

 

Wir betreuen wochentags 10 Demenzbetroffene in allen Stadien, insbesondere, wenn diese aufgrund ihres Alters oder ihrer speziellen Defizite einer besonders intensiven und demenzspezifischen Betreuung bedürfen. Das Ziel ist die Entlastung der Angehörigen. Wir vermitteln unseren Tagesgästen Nähe, Ruhe, Sicherheit und Geborgenheit. Die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse nach Angenommen sein, nach Beschäftigung, Anerkennung und Wertschätzung liegen uns dabei besonders am Herzen. Alle Aktivitäten passen wir stets den Fähigkeiten und Neigungen der Demenzbetroffenen an, die Betreuung ist individuell und aktivierend oder reizabschirmend. Die Angehörigen begleiten wir engmaschig.

 

 

 

2.3 Die Tagesstätte

 

Die Betreuung von Menschen mit Demenz bleibt mehrheitlich den Angehörigen
überlassen. Wir möchten diese entlasten. Wir betreuen wochentags 10 Menschen mit Demenz, diese kommen zwischen 1 und 5 Mal pro Woche, an immer denselben Wochentagen. Tagesgäste, die in Basel-Stadt wohnen, können wir mit unserem Bus am Morgen abholen. Tagesgästen, die im Basel-Land oder im nahen Ausland wohnhaft sind, helfen wir eine adäquate Transportmöglichkeit zu finden. Die Leitung der Tagesstätte obliegt einer erfahrenen Fachkraft, die von weiteren Fachkräften unterstützt wird. Zusätzlich sind ein/e Auszubildende/r Fachperson Betreuung, freiwillig Engagierte und Zivildienstleistende, in der Betreuung aktiv. Wir nehmen Menschen mit Demenz auf, die mobil sind und einer besonders intensiven, demenzspezifischen Betreuung bedürfen, weil sie weglaufgefährdet, jung oder unruhig sind, oder weil sie zu sogenannten Verhaltensauffälligkeiten neigen. Wir arbeiten nach dem Person-zentrierten Ansatz nach Tom Kitwood
.
(Homepage Stiftung Basler Wirrgarten)

 

3 Formen der Demenz

 

In unserer Tagesstätte gibt es Menschen mit unterschiedlichen Formen der Demenz und in unterschiedlichen Phasen der Erkrankung. Grundsätzlich sind unsere Gäste noch soweit mobil, dass sie, zum Teil auch mit Hilfestellung, eine Treppe hoch- und runtersteigen können. Um einen Überblick zu schaffen mit welchen Defiziten unsere Gäste zu kämpfen haben und wie komplex und unterschiedlich sich diese Krankheit auswirkt, fasse ich in diesem und den folgenden Kapiteln einige wichtige Themen über demenzspezifisches Wissen zusammen.

 

Das Wort Demenz kommt aus dem Lateinischen und setzt sich aus De- etwas ist weg und mens- Geist/Verstand zusammen. Demenz ist ein Syndrom (Oberbegriff) nicht eine Krankheit.

 

Primäre Demenzformen: Diesen Demenzen liegt eine primäre Erkrankung des Gehirns zugrunde. Sie werden weiter unterteilt in die degenerativen Formen (Alzheimer-Krankheit, Fronto-Temporale Degeneration, Lewy-Body-Demenz und andere), die vaskulären Demenzen und Mischformen. Sekundäre Demenzformen: Bei den sekundären Demenzformen liegen entweder die Ursachen ausserhalb des Gehirns (Vitaminmangel, Alkohol, Medikamente, Lösungsmittel, hormonelle Störungen usw.), oder es liegen andere Krankheitsbilder im Gehirn vor (Hirntumor, Hydrozephalus, Hirnentzündung oder -infektion, andere neurologische Erkrankungen usw.).

 

 

 

3.1 Verhaltens- und psychologische Symptome

 

Die Neuropsychologie definiert ein demenzielles Syndrom aufgrund der kognitiven Symptome.  Im Alltag bei der Betreuung eines MmD sind die emotionalen und sozialen Auswirkungen der Demenz oft wesentlich belastender für die Pflegenden. Sie werden bei uns „nicht kognitive Symptome der Demenz“ oder auch „herausforderndes Verhalten“ genannt.

 

3.1.1 Depression

 

Besonders in den frühen Phasen einer demenziellen Erkrankung sind den Betroffenen die Fehlleistungen meistens mehr oder weniger bewusst. Sie reagieren gekränkt, traurig und verzweifelt. Sie ziehen sich zurück und meiden Situationen, die sie überfordern könnten. Gerade bei der Alzheimererkrankung tritt im Verlaufe der Krankheit zum Glück für die Betroffenen die Depression oft in den Hintergrund. Mit zunehmender kognitiver Beeinträchtigung schwächt sich auch das Gefühl des Versagens ab. Bei anderen Demenzformen, insbesondere bei der vaskulären Demenz, ist dieses Phänomen weniger ausgeprägt. So zeigen gerade Menschen mit einer reinen vaskulären Demenz oft im Verlauf langanhaltende depressive Zustände.

 

3.1.2 Angst

 

Es macht verständlicherweise Angst, wenn man in alltäglichen Situationen nicht mehr versteht, worum es geht, sich dessen aber bewusst ist. Angst machen Situationen, wo das Gefühl der Fremdheit, des Verloren-seins oder des Versagens aufkommen.

 

3.1.3 Verhaltensstörungen: Unruhe, Impulsivität, Aggressivität

 

In mittleren Stadien der Alzheimer-Krankheit kommt es sehr oft zu motorischer Unruhe. Die Menschen wandern ziellos durch die Räume oder verlangen dauernd, nach Hause gehen zu können. Diese Unruhe-Zustände sind multifaktoriellel: Es kann sein, dass dauernd eine verlorene vertraute Umgebung gesucht wird. Oder die Bewegung ist ein Versuch, die verlorenen kognitiven Fähigkeiten zu kompensieren: Wer die Welt mit dem Verstand nicht mehr begreifen kann, muss sie mit den Händen begreifen oder mit den Füssen erlaufen. Herausforderndes Verhalten ist sehr häufig bedingt durch ein Milieu, das wenig demenz-freundlich ist: Reizüberflutung, Unruhe durch viel zu grosse Räume mit viel zu vielen Personen, konfrontierende Kommunikation mit den Betroffenen, und dgl. mehr. Infolge der Beschädigung des Frontalhirns kann enthemmtes Verhalten auftreten. Die Menschen können ihre Impulse nicht mehr zurückhalten und verhalten sich in einer Weise, die sie sich früher nicht erlaubt hätten.

 

3.1.4 Antriebsstörungen: Apathie, Interessenlosigkeit

 

Häufiger als unruhige Zustände sind Verhaltensstörungen mit einem Minus an Verhalten. Die Menschen sitzen ruhig, ohne Antrieb, ohne Ideen, ihre Stimmung ist neutral. Dies im Unterschied zu den depressiven Zuständen.

 

3.1.5 Psychotische Symptome

 

Wahnhafte Zustände kommen bei der Alzheimer-Krankheit in mittelschweren bis schweren Phasen vor. Manchmal liegt eine wahnhafte Verarbeitung der kognitiven Defizite vor, wenn jemand Gegenstände verlegt und dann die Angehörigen beschuldigt, sie gestohlen zu haben. Eine Demenzerkrankung kann auch dazu führen, dass Angehörige nicht mehr erkannt und als Fremde angesehen werden.

 

3.1.6 Katastrophenreaktionen

 

Dies sind unangemessen erscheinende Reaktionen, die durch eine eigentlich unbedeutende Bemerkung oder eine scheinbar einfache Aufgabe ausgelöst werden. Zum Beispiel beginnt jemand auf eine einfache Frage laut zu schreien und zu schimpfen. Katastrophenreaktionen kommen typischerweise im Verlaufe des Tages zunehmend häufiger vor, weil die Stressschwelle im Laufe des Tages absinkt. Auslöser kann auch eine Reizüberflutung sein.

 

 

 

3.2 Kognitive Symptome der Demenz

 

Kognitiv (Erkenntnis, das Erkennen betreffend), bezeichnet im weiteren Sinne alle höheren Hirnleistungen wie Gedächtnis, Sprache, Rechnen, Erkennen, Denken, Urteilen, Problem lösen usw. Diese Symptome werden auch Primärsymptome genannt, weil sie die grundlegenden Symptome einer Demenz darstellen, die definitionsgemäss nicht fehlen dürfen.

 

3.2.1 Gedächtnisstörung

 

Gedächtnisstörungen sind das bekannteste und oft auch das erste Symptom von demenziellen Erkrankungen, insbesondere bei der Alzheimer-Krankheit. Zunächst geht die Chronik der laufenden Ereignisse verloren, die Menschen erinnern sich nicht mehr an das, was vor einer Minute geschehen ist. Informationen können nicht mehr vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis überführt werden. Eine weitere Folge der Demenz ist die Desorientierung. Besonders die zeitliche Orientierung ist schwer betroffen, da das Zeitgitter schon bei gesunden Erwachsenen sehr leicht störbar ist. Örtliche Desorientierung wird sich zunächst in unbekannter Umgebung zeigen, später auch im gewohnten Umfeld. So kann ein MmD vielleicht seine eigene Wohnung


nicht mehr erkennen und verlangen, nach Hause gehen zu dürfen. Die Orientierung in Situationen verändert sich ebenfalls. MmD erinnern sich immer weniger an die Regeln unseres Zusammenseins. (Moreau: Grundlagen der Demenz).

 

3.2.2 Aphasie

 

Sprachstörungen, unter denen haben viele unserer Gäste zu leiden. Für die Menschen welche realisieren, dass sie unter Wortfindungsstörungen leiden, ist es besonders schwer damit umzugehen. Sie scheinen zwar zu wissen was sie sagen wollen, können aber die passenden Worte nicht finden. Hier ist besondere Aufmerksamkeit gefragt, um mit Einbeziehen aller Sinnessignale, Hilfeleistung bieten zu können, um annähernd zu entziffern oder bestenfalls ganz zu verstehen, was sie sagen wollen.

 

3.2.3 Apraxie

 

Zielgerichtete, geordnete Bewegungen können trotz intakter motorischen Fähigkeiten nur noch erschwert ausgeführt werden. Betroffen sind Mimik, Sprache, Gestik und der Gebrauch von Werkzeugen usw. Störungen angelernter Handlungen kann beispielsweise dazu führen, dass jemand nicht mehr weiss, wie man auf einen Stuhl sitzt oder einen Reisverschluss schliesst. Oder auch die Technik die ursprünglich gelernt wurde um ein bestimmtes Instrument zu spielen.

 

3.2.4 Störung der Exekutivfunktionen

 

Beeinträchtigt werden komplexe zusammenhängende Abläufe. Planung, Ausführung, Kontrolle komplexer, später auch einfacherer Sachen wird unmöglich (Ferien planen, Kaffee kochen, etc.), eine Auswahl treffen (welche Krawatte zu welchem Hemd, Essensbuffet) wird zunehmend unmöglich. Das Urteilsvermögen, insbesondere auch in Bezug auf die eigenen Defizite, aber auch in Bezug von Beurteilen von Situationen, beispielsweise sich im Heim im Hotel fühlen, etc., nimmt sukzessive ab.

 

 

 

 

 

4 Sinn und Zweck des Klangraumes, sowie die damit verbundenen Anforderungen und Bedingungen

 

Um zu definieren, welches der Sinn und Zweck eines Klangraumes sein soll, gehe ich einerseits von meinen Visionen aus, von meinen Vorstellungen was ein solcher Raum für Möglichkeiten bieten sollte. Andererseits stelle ich mir die Frage, was den MmD speziell in diesem Raum ermöglicht werden soll. In einem weiteren Schritt sollen die Anforderungen und Bedingungen definiert werden, welche erfüllt werden müssen um das gesteckte Ziel von Sinn und Zweck zu erreichen.

 

 

 

4.1 Vision

 

``Schöpfe aus deinem Inneren und lass dich überraschen wie du klingst, wie dein Rhythmus sich anfühlt``.

 

Was und für Wen es sein soll: Ein Experimentierfeld für Klang, Rhythmus und Bewegung. Möglichst zu jeder Zeit zugänglich, um auch spontan auf die Tagesverfassung der Gäste, sowie auf mögliche Zeitfenster des Tagesablaufs und personelle Kapazitäten rücksichtnehmen zu können. Grundsätzlich zugänglich für jede Frau, für jeden Mann, für Jung und Alt, Klein und Gross, für Laut und Leise, für Langsame und Schnelle. Ganz speziell wünsche ich mir, dass die MmD ihre Emotionen leben dürfen ohne kritisiert oder gewertet zu werden. Dass sie mit mir oder auch mit anderen Gästen oder Betreuenden in Resonanz kommen können und wahrgenommen sowie wertgeschätzt werden in ihrer ganz persönlichen Ausdrucksweise. Menschen, die früher in ihrem Leben ein Instrument gespielt haben und dies aufgrund ihrer Erkrankung verlernt haben, sollen trotz dieser Tatsache eine Möglichkeit haben in eine Klangwelt einzutauchen und Instrumente selber zu spielen, sowie einfache Tanzformen und neue Musik zu kreieren. Menschen, die kein Instrument gespielt haben, sollen Gelegenheit haben dies nachzuholen. Sie sollen sich eingeladen fühlen, auf Instrumenten zu improvisieren und ihre eigenen Klänge kreieren und ausleben.

 

 

 

4.2 Was für Möglichkeiten bietet der Klangraum den Menschen mit Demenz

 

  • Sich in einem Raum frei bewegen dürfen.

  • Sich wohlfühlen, öffnen können und sich eingeladen fühlen, aus sich heraus kreativ aktiv zu sein. Etwas bewirken zu können.

  • Mit Instrumenten ausprobieren, wie sie klingen.

  • Singen, Tanzen, Lachen.

  • Emotionen ausleben.

  • Ihre individuelle Persönlichkeit mit allen Sinnen wahrnehmen, erkennen, ausleben und mitteilen.

  • Von den anderen wahrgenommen, beachtet und wertgeschätzt werden.

  • So sein wie sie sind, mit all ihren Stärken und Schwächen. Sich mitteilen.

  • Bestimmen was sie wollen und was nicht, Ja / Nein sagen, gestikulieren

     

  • Einbezogen werden, Partner/in sein, Teil einer Gruppe sein.

  • Respektiert, geachtet werden.

  • Emotionale Verbundenheit, Wärme spüren.

  • Sich aufgehoben, begleitet wissen auch in negativen Stresszuständen.

  • Bedürfnisse von MmD nach Kitwood sollen abgedeckt werden (siehe Punkt 1.1.1).

     

 

4.3 Wichtige Anforderungen/Bedingungen an Begleitpersonen und Institutionen

 

  • Der Betrieb sollte Arbeitszeit sowie geschulte Begleitpersonen zur Verfügung stellen. Das Personal sollte sich gewisse Grundkenntnisse im Bezug auf „Arbeiten im Klangraum“ aneignen. Um Grundkenntnisse zu vermitteln, führe ich Inputs für Mittarbeitende vom Atrium, sowie Interessierte von extern durch. Dazu habe ich eine Zusammenfassung auf einem Informationsblatt mit den wichtigsten Grundlagen zusammengestellt, welches mitgegeben wird. Grundkenntnisse im Umgang mit MmD betrachte ich als sehr wichtig und weise hier auf die spezifischen Schulungen hin, welche in unserem Betrieb ATRIUM der Stiftung Basler Wirrgarten von Frau Irene Leu angeboten werden.

  • Gegenseitige Wertschätzung: Den Wert von Menschen mit Demenz einschliesslich derer, die für sie sorgen, anerkennen. (Person-zentriert pflegen, Dawn Brooker). Dawn Brooker beschreibt eindrücklich und verständlich die Bedeutung der Person-zentrierten Pflege. Hierzu einige Punkte zur Fragestellung um abzuklären, ob eine Institution auch die erforderlichen Rahmenbedingungen erfüllt um auf eben dieser Basis von gegenseitigem Wertschätzen zu arbeiten: Gibt es ein Einrichtungskonzept oder ein Leitbild das einer personenzentrierten Pflege verpflichtet ist? Gibt es Überprüfungsmechanismen, die sicherstellen, dass die Mitarbeiter sich von ihrem Arbeitgeber geschätzt fühlen? Wirken die Praktiken der Führungsebene stärkend oder befähigend auf diejenigen, die unmittelbar pflegerisch tätig sind? (Dawn Brooker)

  • Betreuungspersonen sollten sehr einfühlsam sein, den Gast behutsam mit den Instrumenten vertraut machen. Fähig sein, subtile Zeichen, speziell nonverbale zu lesen. Grundsätzlich Ruhe ausstrahlen und nur bei Bedarf wohlüberlegt animierend wirken. Hauptsächlich mitfühlen, mitgehen mit dem Gast, sobald ein Input von diesem kommt.

  • Betreuungspersonen sollten in hohem Masse fähig sein, sich in behutsamer Weise mit Menschen in Interaktion zu begeben. Hierzu eine Wegweisende Darstellung wie sie Kitwood beschreibt.

     

 

4.4 Der Anteil der Betreuungsperson an der Interaktion

 

  • Anerkennen (recognition). Die Betreuungsperson bringt eine offene und vorurteilslose Haltung, frei von Tendenzen des Stereotypisierens oder Pathologisierens mit und begegnet der Person mit Demenz in ihrer Einzigartigkeit.

  • Verhandeln (negotiation). Die Betreuungsperson stellt alle vorgefertigten Annahmen über das, was zu tun ist, zur Seite und wagt es, zu fragen, zu beraten und zuzuhören.

  • Zusammenarbeiten (collaboration). Bewusst wird vom Einsatz von Macht und damit von jeder Form des Aufdrängens und des Zwangs Abstand genommen. Für die Person mit Demenz wird Raum geschaffen, so weit wie möglich zur Handlung beizutragen.

  • Spielen (Play). Die Betreuungsperson ist frei, sich auf einen freien, kindlichen kreativen Weg des Seins zu begeben.

  • Timalation (timalation). Die Person mit Demenz erfährt Vergnügen auf direktem Weg über die Sinne, und das bedeutet, dass sich die Betreuungsperson mit ihrer eigenen Sinnlichkeit wohl fühlt- ungestört durch Schuld oder ängstliche Hemmung.

  • Feiern (celebration). Über die Belastungen und unmittelbaren Anforderungen der Arbeit hinaus ist die Betreuungsperson für Freude offen und dankbar für das Geschenk des Lebens.

  • Entspannen (relaxation). Die Betreuungsperson ist für eine Weile frei, die aktive Arbeit zu unterbrechen und sogar mit dem Planen aufzuhören. Sie identifiziert sich positiv mit dem Bedürfnis mancher Menschen mit Demenz: Tempo drosseln und Körper und Geist eine Ruhepause gönnen.

  • Validation(validation). Die Betreuungsperson geht über ihren Bezugsrahmen mit seinen vielen Bedenken und Sorgen hinaus, um den anderen empathisch zu verstehen; das Erkennen wird herabgesetzt und die Sensibilität gegenüber Gefühl und Emotion erhöht.

  • Halten (holding). Welches Leid die Person mit Demenz auch immer durchläuft, die Betreuungsperson bleibt voll präsent – beständig, selbstsicher und reaktionsbereit, fähig, den Wiederhall jeder verwirrenden Emotion im eigenen Sein zu tolerieren.

  • Erleichtern (facilitation). Hier wird eine feinsinnige und sanfte Phantasie aufgerufen. Es besteht die Bereitschaft, auf die Geste einer Person mit Demenz zu reagieren – nicht, indem ihr Bedeutung aufgezwungen wird, sondern durch Teilnahme am Schaffen von Bedeutung und am Ermöglichen von Handlung.

  • Schöpferisch sein (creation) durch die Person mit Demenz. Die durch die Person mit Demenz initiierte schöpferische Handlung wird als solche gesehen und anerkannt. Die Betreuungsperson reagiert, ohne die Kontrolle zu übernehmen.

  • Geben (giving) von Seiten der Person mit Demenz. Die Betreuungsperson ist bescheiden genug anzunehmen, was immer ihr eine Person mit Demenz an Freundlichkeit oder Unterstützung gibt, und ehrlich genug ihre eigene Bedürftigkeit anzuerkennen. Vorstellungen eines Wohltäters oder Spenders von Mildtätigkeit alten Stils haben keinen Raum. (Tom Kitwood, der personenzentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten Menschen, Seite 173 / 174).

     

 

4.5 Wichtige Anforderungen/Bedingungen an die Infrastruktur

 

  • Ein abtrennbarer Raum sollte zur Verfügung stehen. Der Raum sollte weiter innen, sowie gegen aussen möglichst schallisoliert sein. Nichtbeteiligte Aussenstehende könnten sich sonst gestört fühlen und dies wiederum hemmt das Schaffen im Klangraum. Für die im Klangraum Aktiven bietet dies auch eine geschützte Atmosphäre, was sehr wichtig ist, um sich auf einen kreativen Prozess einlassen zu können.

  • Eine sinnvolle Auswahl an Instrumenten sollte vorhanden sein. Klangkörper, Gegenstände welche Erinnerungen hervorrufen können anregend sein, z.B. Geissen-oder Kuhglocken, Vogelpfeifen, Musikspieldosen oder auch Alltagsgegenstände wie Schüsseln, Pfannendeckel, Kuchenbleche usw.

  • Der Raum sollte gut beheizbar sein und angenehmes Kunstlicht haben. Nicht zwingend, jedoch von Vorteil, wären Fenster zum Lüften und um Tageslicht einfliessen zu lassen. Nach Bedarf Duftessenzen verwenden.

  • Ein Minimum an Platz zum Bewegen und Tanzen ist wichtig. Ein zu kleiner Raum kann auch beengend wirken, besonders wenn laute Instrumente zum Einsatz kommen.

  • Sitz- oder eventuell auch Liegegelegenheiten ermöglichen dem Gast bei Bedarf auch nur sitzend oder liegend zuzuhören. Auch wenn längeres Stehen Schwierigkeiten bereitet, kann dies wichtig sein um sitzend ein Instrument zu spielen.

     

 

5 Entstehung und Idee des Konzepts Klang- & Bewegungsraum im Atrium

 

Im Zusammenhang mit Musik haben wir in der Tagesstätte schon viel Positives erlebt und Erfahrungen gesammelt, wie beispielsweise das Hören von Musik verschiedenster Stilrichtungen. Ebenfalls zu Musik tanzen, sowie Bewegungsspiel und Gymnastik. Gemeinsames Singen von bekannten Liedern gehören schon zu einem bewährten Bestandteil der Tagesaktivitäten.

 

Wir haben uns die Frage gestellt, ob es für die Tagesgäste Möglichkeiten gibt, selbst Musik zu machen. Frau Irene Leu und Frau Karin Beyeler haben mich beauftragt, diesbezüglich ein Konzept zu erarbeiten.

 

Aufgrund der Möglichkeiten unserer Tagesgäste ist es mir sehr wichtig, „Musik machen“ im weitesten Sinne zu verstehen. Vielleicht treffen folgende Ausdrücke eher zu wie Klangbilder kreieren, sich über einen Klangkörper ausdrücken, sich klingen lassen, sich verbunden fühlen über einen gemeinsamen Rhythmus usw... Oder auch nur in der Gegenwart sein, sich entspannen beim Zuhören und in Beziehung sein. Kitwood verstand Person-zentrierte Pflege für Menschen mit Demenz als etwas, das im Kontext von Beziehung stattfindet. Wenn verbale Fähigkeiten verloren gehen, wird die Relevanz eines über nonverbale Kanäle laufenden, emotional warmen und annehmenden menschlichen Kontakts noch grösser. (Dawn Brooker)

 

 

 

5.1 Planung

 

5.1.1 Instrumente

 

Es gibt eine Vielzahl von Instrumenten und Klangkörpern, welche auch ohne musikalische Grundkenntnisse und Techniken gespielt werden können. Diese eignen sich besonders zum Improvisieren. In einer ersten Phase stellte ich die Instrumente aus meiner persönlichen Sammlung, sowie teilweise von Thomas Weiss (Instrumentenbauer) kostenlos zur Verfügung, um herauszufinden, welche sich besonders gut eignen.

 

5.1.2 Der Raum

 

Der Raum sollte einladend, hell und abtrennbar werden, um den Tagesgästen einerseits eine Rückzugsmöglichkeit zu bieten, ein sich Abgrenzen von Anderen, und im umgekehrten Sinne sollten sich die anderen Tagesgäste nicht gestört fühlen. Speziell bei kreativen Aktivitäten wie Tanz und Musik reagieren wir alle oft sehr empfindlich auf Kritik und Wertungen von aussen. Oft ist die Herausforderung schon gross genug, unsere eigenen Saboteure und Kritiker zu überwinden. Weil Bewegung ein wichtiges Element ist, sollte der Raum eine gewisse Grösse haben.

 

 

 

5.2 Aufbauphase

 

5.2.1 Ausprobieren und Erfahrungen sammeln in der Praxis

 

Im September 2011, während den Ferien mit den Tagesgästen vom Atrium in Rüdlingen, hatte ich Gelegenheit, einen Klangraum einzurichten. Jeden Morgen während 2 Stunden hatten die Gäste die Möglichkeit, einzeln oder in kleinen Gruppen gemeinsam mit mir spontan auf diversen Instrumenten und Klangkörpern zu improvisieren. Dazu stellte ich eine Vielzahl von Instrumenten zusammen, welche in einem dafür geeigneten Raum platziert wurden. So konnten wir den Raum begehen und die verschiedenen Klänge ausprobieren und wirken lassen. Auf diese Weise war es möglich, einige Favoriten unter den Instrumenten zu bestimmen.

 

Es ist einzigartig und sehr individuell, wie die Instrumente zum Klingen gebracht werden. Die „eins zu eins“ Situation hat sich meistens als sinnvoll herausgestellt. In kleinen Gruppen versuchten wir uns als Orchester. Das Zusammenstellen einer Gruppe wurde bewusst und sehr behutsam gemacht, um beim Improvisieren keine Kritik oder Wertung zu provozieren, welche für die Betroffenen zu einem Rückzug und frustrierendem Erlebnis hätten führen können.

 

 

 

                           

 

 

 

 


 

 

Einige Beispiele von Instrumenten die sich nach ersten Erfahrungen als besonders gut geeignet herausstellten:

 

 

Das Ngoni (ein Saiteninstrument) erzeugt einen sehr warmen, friedlichen und wohltuenden Klang.

 

 

Oder das bei uns bekanntere Monochord.

 

 

 

 

 

Pentatonisch (5 Tonleiter) gestimmt klingen diese Instrumente harmonisch, unabhängig in welcher Reihenfolge die Töne angespielt werden. Auf Frau F., Herr A. und Herr Z. zeigte das Ngoni eine sehr entspannende Wirkung. Beim Vorspielen sind sie auch mal eingenickt oder eingeschlafen.

 

Jujunuss Rassel. Von dieser wie sanfter Regen klingenden Rassel war Frau F. sehr angetan und trug sie noch lange nach dem Musizieren mit sich herum.

 

 

 

          

         

       

 

 

 

Auf Gong und Schlagzeugbecken spielte Frau T. sehr hingebungsvoll und konzentriert. Das Imitieren von Vogelstimmen brachte uns zum Lachen. Das Schütteln der Geissenglocken erinnerte an die Alp. Frau B. schnallte sich Fussglocken um und begann spontan zu Tanzen, während wir Anderen weiter Musik spielten.

 

 

 

5.3 Erste Auswertung während der Aufbauphase

 

Von den 12 anwesenden Gästen konnten 8 vom Angebot profitieren, davon kamen 6 regelmässig in den Genuss des Musizierens und Bewegens. Überraschend und sehr bereichernd waren die unterschiedlichen Stimmungen im Raum, welche geprägt waren von den anwesenden Gästen und deren Persönlichkeiten. Manchmal schon fast ehrfürchtig konzentriert und meditativ, dann wieder improvisierungsfreudig interessiert. Erinnerungen tauchten auf und anregende Gespräche entstanden. Es wurden Fragen über Herkunft und Geschichte exotischer Instrumente gestellt und beantwortet.  Auch ausgelassen laute, schon fast ekstatische wilde Momente mit Instrumenten und Tanz durften sein. Auch lautstarkes Fluchen war angesagt, was ebenso alles zum Leben dazugehört. Berührende Momente gemeinsamer Interaktionen wischten alle Bedenken vom Tisch. Trotz den schwersten Leiden, welche die Menschen aufgrund ihrer Erkrankung zu tragen haben, durften wir diese gemeinsamen Stunden miteinander in positiver Art und Weise erleben.

 

 

 

5.4 Realisierung

 

5.4.1 Budgetantrag für Instrumente und Raum-Einrichtung

 

In einem nächsten Schritt stellte ich einen Budgetantrag zum Kauf einiger Instrumente.

 

1 Ngoni oder Monochord                                Fr.         860.-

 

3 Gong                                                              Fr.         950.-

 

div. Rasseln, Vogelstimmen, Glocken              Fr.         150.-

 

1 Rahmentrommel                                           Fr.         380.-

 

Total                                                                 Fr.      2‘340.-

 

 

 

Weiterhin standen diverse Instrumente von mir und vom bekannten Schlagzeuger Jean-Claude Forestier zur Verfügung. Dies ermöglichte es mir, weitere Instrumente auszutesten, um später nochmals einen Antrag für Instrumentenbeschaffung zu stellen. Mit dem Budgetantrag für die Raumeinrichtung im Atrium warteten wir noch ab. Vorerst gestaltete ich mit den vorhandenen Möbeln, Vorhängen und eigenen Tüchern den Raum. Speziell für die Gongs und die diversen Instrumente, welche aufgehängt werden sollten, konstruierte ich ein Holzgestell. Die Arbeitszeit wurde mir vom Betrieb bezahlt. Das Material, alles Recyclingholz, welches ich aufgewertet hatte, stellte ich zur Verfügung.

 

 

 

 

 

 


 

 

5.5 Eröffnung Klang- & Bewegungsraumraum im Atrium

 

Der Budgetantrag wurde vom Stiftungsrat gutgeheissen und ein passender Raum steht seither zur Verfügung. Die Leitung, sowie das Personal der Tagesstätte unterstützten die Realisierung des Klang- & Bewegungsraumes. Somit konnte 2012 gestartet werden. Dazu habe ich folgenden Text im Jahresbericht der Stiftung Basler Wirrgarten veröffentlicht: Im Jahr 2012 konnten wir im Atrium den Klangraum einrichten und eröffnen. In diesem Raum haben die Tagesgäste von nun an die Möglichkeit, in einem geschützten Rahmen, also ohne Wertung oder Kritik ausgesetzt zu sein, mit Instrumenten, Stimme und Bewegung zu improvisieren. Der Klangraum ist als erstes ein Raum der Stille, der einlädt seinem individuellen Klang zu Lauschen und Ausdruck zu verleihen. Mit wohlwollender Präsenz begebe ich mich in Resonanz mit meinem Gegenüber. In diesem Spielraum bewegen wir uns innerlich und äusserlich. Frei von Erfolgsdruck und Zielen lassen wir uns auf ein achtsames Miteinander-Sein ein.

 

Stille heisst, „mit dem Herzen lauschen“. Das Wahrnehmen eines anderen Menschen in seinem Gesamten, im Aspekt seines Leidens, wie im Aspekt seiner Qualitäten. Menschen die unter Resonanzlosigket, welche letztlich ein Nicht in Beziehung sein bedeutet, leiden, können oftmals nur erreicht werden, wenn diese Energie der Stille, die aus unserm offenen Herzen kommt, sie berührt und wieder ins Fühlen, ins Leben hereinholt, wieder in lebendige Schwingung versetzt. Die Resonanz der Seele (Barbara Gindl).                                                   

 

Sein dürfen, ohne Erwartungsdruck, ohne zu wollen, ohne zu müssen, ohne etwas anzustreben. Um diesen Seins-Zustand zu erreichen, stehen eine Vielzahl zum Teil ungewöhnlicher Instrumente und Klangkörper zur Verfügung, von denen kaum eine Vorstellung besteht, wie sie tönen sollen oder wie sie zu spielen sind. So können die Musizierenden frei und spontan von sich aus oder auch mit behutsamer Anleitung in eine neue Klangwelt begleitet werden. Ich trete in Resonanz mit dem Musizierenden, indem ich zum Beispiel ein rhythmisches Muster von diesem aufnehme, ähnlich wie ein Echo. Ein einfaches rhythmisches Muster kann auch synchron, also gleichzeitig auf unterschiedlichen Klangkörpern, gespielt werden. So entsteht eine gemeinsame Musik. Mit dem Einbeziehen der Stimme beleben wir innere Resonanzräume. Es kann auch ein Tanz entstehen, in Form von Gestik, sanftem rhythmischem Gehen oder auch mal heftige, wilde Bewegungen. Der Gedankenfluss kann unterbrochen werden und Entspannung ist möglich. MmD sind oft einer Rastlosigkeit oder einer Apathie ausgeliefert. Gelingt es, gemeinsam in Resonanz zu kommen, ist es möglich die beiden Extreme Erregung und Eingefroren-Sein auszubalancieren. Ankommen im Hier und Jetzt, ein intensives Gefühl von Angenommen-Sein als das was man ist, und Teil-Sein eines Ganzen. MmD haben auf diese Weise die Möglichkeit aktiv zu kreieren, sich emotional auszudrücken und wahrgenommen zu werden. Dies aktiviert und erneuert ihre eigene Energie und stärkt ihr Selbstvertrauen. In Resonanz zu kommen und gemeinsam zu schwingen bedeutet für MmD verstanden und wahrgenommen zu werden, wichtig zu sein als Mensch und in Beziehung treten zu können mit seinem Gegenüber. Durch das Gefühl der Verbundenheit steigt die gegenseitige Wertschätzung.


 

 

Am Stiftungsrat–Apéro im Januar 2013 stellte ich den Klang- & Bewegungsraum allen Interessierten in Form eines Inputs vor. Nach einem kurzen theoretischen Teil und dem Beantworten von Fragen, versuchten die Anwesenden mit Begeisterung selbst, den Instrumenten alle möglichen Klänge zu entlocken. Im Anschluss entstanden aus Fragen und Antworten interessante Gespräche.

 

 

 

5.6 Input für Interessierte im Klang- & Bewegungsraum

 

Der neu geschaffene Raum soll allen Interessierten offenstehen. Die Tagesgäste sollen sich spontan und selbständig in diesem Bewegen oder aufhalten können, wenn und wann sie möchten. So kommt es ab und zu auch vor, dass ein Gast für sich alleine im Raum ist. Das kann sein, dass ein Instrument angespielt wird, oder nur kurz einige ausprobiert werden. Auch nur ab und zu eine Runde drehen, sich ein wenig umschauen entspricht offenbar dem Bedürfnis von Herr R. Grundsätzlich sind jedoch die meisten Gäste auf eine Begleitung und Animation angewiesen. Da ich nicht jeden Tag anwesend bin und es sinnvoll ist, dass auch interessierte Mitarbeitende sich befähigt fühlen unsere Gäste im Klang- & Bewegungsraum zu begleiten, bin ich aufgefordert worden, einen Input zum Thema durchzuführen. Das hat mich sehr gefreut, da dies auch meinem Interesse entspricht, den Raum für ein breiteres Publikum zu öffnen. Ergänzend zum praktischen Teil des Inputs habe ich auch schriftlich eine kurze Anleitung mit grundsätzlich wichtigen Regeln, Anregungen und Hinweisen erstellt.

 

 

 

5.6.1 Anleitung zum Input

 

Verantwortungsbereich Klangraum, Peter Hürlimann

 

Anmerkung: In folgender Anleitung sind Textteile aus meiner Publikation im Jahresbericht Atrium übereinstimmend (siehe Anhang). Ich wiederhole diese hier, damit die Anleitung vollständig ersichtlich und verständlich ist.

 

 

 

Inhaltsverzeichnis:

 

1. Ziel

 

2. Methodenwahl

 

3. Information Spieltechnik

 

 

 

Ziel:

 

In diesem Raum haben die Gäste die Möglichkeit, in einem geschützten Rahmen, also ohne Wertung oder Kritik ausgesetzt zu sein, mit Instrumenten, Stimme und Bewegung zu improvisieren.

 

Der Klangraum ist als erstes ein Raum der Stille, der einlädt, seinem individuellen Klang zu lauschen und Ausdruck zu verleihen. MmD haben in diesem Raum die Möglichkeit aktiv zu kreieren, sich emotional auszudrücken und wahrgenommen zu werden. Dies aktiviert und erneuert Ihre eigene Energie und stärkt Ihr Selbstvertrauen. In Resonanz zu kommen und gemeinsam zu schwingen bedeutet für MmD verstanden und wahrgenommen zu werden, wichtig zu sein als Mensch und mit seinem Gegenüber in Beziehung treten zu können. Durch das Gefühl der Verbundenheit steigt die gegenseitige Wertschätzung.

 

Methodenwahl:

 

Mit wohlwollender Präsenz begebe ich mich in Resonanz mit meinem Gegenüber. In diesem Spielraum bewegen wir uns innerlich und äusserlich. Frei von Erfolgsdruck und Zielen lassen wir uns auf ein Miteinander-Sein ein. Sein dürfen, ohne Erwartungsdruck, ohne zu wollen, ohne zu müssen, ohne etwas Anzustreben.

 

Was ein Klang auslösen kann ist individuell sehr unterschiedlich. Deshalb sehr behutsam und eher als beobachtend, begleitend und unterstützend aktiv sein. Den Gast auslesen und entscheiden lassen welches Instrument gespielt werden möchte, soweit dies möglich ist. Auch sanft, behutsam animieren, eventuell selber etwas vorspielen und den Gast zuhören lassen. Die Hand ev. führen, wenn dies der Gast zulässt. Auf Impulse achten die vom Gast kommen, z.B. Tanzbewegungen, Stimmimprovisationen, laut, leise, schnell, langsam usw. Möglicherweise entsteht auch ein Gespräch aufgrund von Erinnerungen, welche durch bestimmte Klänge in den Vordergrund treten. Offen sein für das, was ist. Eine Vielzahl zum Teil ungewöhnlicher Instrumente und Klangkörper stehen zur Verfügung, von denen kaum eine Vorstellung besteht, wie sie tönen sollen oder wie sie zu spielen sind. So können die Musizierenden frei und spontan von sich aus oder auch mit behutsamer Anleitung in eine neue Klangwelt begleitet werden. Ich trete in Resonanz mit dem Musizierenden, indem ich z.B. ein rhythmisches Muster aufnehme, ähnlich wie ein Echo. Ein einfaches rhythmisches Muster kann auch synchron, gleichzeitig auf unterschiedlichen Klangkörpern, gespielt werden. So entsteht eine gemeinsame Musik. Mit dem Einbeziehen der Stimme beleben wir innere Resonanzräume. Es kann auch ein Tanz entstehen, in Form von Gestik, sanftem rhythmischem Gehen oder heftige, wilde Bewegungen.

 

MmD sind oft einer Ratlosigkeit oder einer Apathie ausgeliefert. Gelingt es, gemeinsam in Resonanz zu kommen, ist es möglich die beide Extreme Erregung und Eingefroren-Sein auszubalancieren. Ankommen im Hier und Jetzt, ein intensives Gefühl von Angenommen sein und Teil eines Ganzen sein.

 

 

 

Information Spieltechnik diverser Instrumente:

 

Gong gross: mit schwerem Schlegel und weichem Kopf

 

Gong klein: mit leichtem Schlegel und weichem Kopf

 

Rahmentrommel: mit leichtem Schlegel und weichem Kopf oder mit den Fingerspitzen gespielt

 

Handtrommel und Cajon (Holzkiste): von Hand geschlagen

 

Koto Saiteninstrument: mit Finger gezupft. Nur eine Seite ist gestimmt. Mit drücken einzelner Saiten auf der Gegenseite des Steges kann ein Wou Wou Effekt erzeugt werden.

 

Xylofon: mit leichtem Schlegel und weichem Kopf

 

Diverse Kleinperkussionsinstrumente: grundsätzlich feines, sanftes anspielen, da sonst zu intensiv, zu laut und somit bedrohlich wirkend.

 

 

 

Wichtig: Grundsätzlich kann auf diese Weise dem Gast auch die Handhabung eines Klangkörpers vermittelt werden. Diese Anleitung soll langsam nur eins nach dem andern, sowie höchstens 2-3 verschiedene Instrumente insgesamt umfassen. Zuviel Informationen überfordern MmD. Nur sehr vorsichtig und minimal vormachen, wie und was auf einem Instrument gespielt werden kann. Das eigene Tempo bewusst dem Gast anpassen.

 

 

 

Übung:

 

Wähle ein Instrument aus, das dir, deiner Stimmung, im Moment am ehesten entspricht! Nimm dir einen Moment Zeit dafür. Du darfst auch das Eine oder Andere kurz ausprobieren wie es tönt, wie es sich anfühlt und ob es dir passt. Wenn du möchtest spiele etwas darauf! Die Gruppe schenkt Deinem Spiel Ihre Präsenz. Wenn du möchtest, sage etwas dazu! Erzähle, weshalb du das Instrument gewählt hast, was es für dich repräsentiert, was es bei dir auslöst beim Spielen…usw.! Die Zuhörenden dürfen auch etwas dazu sagen, was es in ihnen auslöst und bewegt!

 

Diese Übung kann fortgesetzt werden, indem ein Rollentausch stattfindet. So haben alle die möchten Gelegenheit in die Rolle der spielenden oder zuhörenden Person zu schlüpfen.

 

 

 

Schlussbemerkung:

 

Ein solcher Input dient als Anregung und animiert zu ersten Schritten im Klangraum. Um MmD in diesem Raum kompetent zu begleiten bedarf es einiger Praxis und Übung. Gerne lade ich Interessierte Mitarbeiter/Innen ein zu assistieren, damit sie mit der Zeit die Sicherheit erlangen, um später auch selbständig anzuleiten.

 

 

 

6 Praxiserfahrungen

 

6.1 Bereits bestehende Angebote vor der Realisierung des Klangraumes

 

6.1.1 Singen

 

Praxiserfahrungen in Bezug auf Musik, Stimme, Bewegung und Tanz gemeinsam mit MmD konnte ich seit Beginn meiner Arbeit im Atrium machen, zum Beispiel beim täglichen Singen von bekannten Volksliedern am Ende des Tages. Dies ist ein wichtiges Übergangsritual. Gemeinsam schliessen wir den Tag ab. Meistens kommen alle Tagesgäste nochmals im Kreis zusammen und geniessen diesen Moment von Verbunden-sein mit den Anderen und der Vorfreude bald nach Hause gehen zu dürfen. Je nach Bedürfnis und individuellen Fähigkeiten machen die Gäste lautstark, leise summend, oder inbrünstig mit einer klassisch ausgebildeten Stimme mit. Auch wer nur dabeisitzen möchte und nur innerlich mitschwingt, ohne von den Anderen akustisch gehört zu werden, ist Teil der Gruppe und gehört dazu. Die Frau und der Mann, die sich lieber stehend oder gehend um den Tisch bewegen und sich ab und zu mit einigen Wort- und Melodiefetzen einklinken, beleben die Abschlussrunde.

 

6.1.2 Gymnastik

 

Bei der täglichen Morgengymnastik wird die Erhaltung der Mobilität angestrebt mit dem Ziel, ein gemeinsames Erlebnis und Emotionen der Freude und der Fröhlichkeit zu provozieren. Musik vom CD-Player unterstützt dieses Ziel und synchronisiert rhythmisch die Bewegungen und stimuliert je nach Musikstück die emotionale Ebene. Ich selbst beginne meistens eher ruhig ohne Musik und brauche meine Stimme, um den Bewegungen Ausdruck zu verleihen, z.B. Strecken der Arme nach oben mit gleichzeitigem Gähnen und Tönen. Mit den Füssen auf den Boden stampfen, nach einer Weile gleichzeitig mit den Händen klatschen und wer will kann noch mit der Stimme einen Flamenco improvisieren. So oder auf ähnliche Weise entstehen oft lustige Situationen und es wird viel gelacht. Auch hier darf mittmachen wer will und so wie es für die Person passt. Niemand soll übergangen werden und sich gezwungen fühlen. Was ab und zu Schwierigkeiten bereitet, sind die Lautstärke und die unterschiedlichen Temperamente. Wenn sich ein Gast ärgert über einen anderen, kann dies schon mal zu Konflikten führen. Ganz vermeiden lässt sich dies nicht, jedoch besteht die Möglichkeit die Konstellation der Gruppe bewusst zu gestalten. Dies setzt voraus, dass ich die einzelnen Gäste schon gut kenne, um vorausschauend zu entscheiden, wer mit wem passen könnte. Gerade in diesem Zusammenhang liegt auch der Vorteil von abtrennbaren Räumen, so dass eine Rückzugsmöglichkeit besteht. Nichts desto trotz, eine gewisse Bereitschaft zum Risiko ist sinnvoll. In einem gesunden Masse Konflikte zulassen bedeutet Lebendigkeit und gehört genauso zum Alltag im Zusammensein mit Menschen.

 

6.1.3 Thé dansant

 

An jedem ersten Freitagnachmittag im Monat organisieren wir ein Tanzkaffee. Dieser Anlass ist öffentlich, so dass Angehörige, Freunde und Interessierte Gelegenheit haben gemeinsam mit unseren Tagesgästen zu tanzen oder auch unbeschwert gesellig zusammen zu sein. Dazu spielt auch ab und zu ein Pianist. Meistens übernimmt jedoch jemand aus unserem Team die Aufgabe des DJ. So kann ein breites Spektrum an Musikstielrichtungen angeboten werden, damit möglichst alle Geschmacksrichtungen berücksichtigt werden können. Dieser Anlass wird von den anwesenden Angehörigen sehr geschätzt, da sie gemeinsam mit ihren erkrankten Partnern/innen an einem öffentlichen Anlass teilhaben können, etwas Positives zusammen erleben und gleichzeitig Einblick haben in die Tagesstätte.

 

6.1.4 Konzerte

 

Zwei- bis vier Mal pro Jahr finden Konzerte bei uns im Werkstattraum statt. Frühere Stilrichtung eher Jazz/Swing, derzeit Klassik. Dank unserer grosszügigen Gönnerin Frau Sabine Duschmalé spielt jeweils ein professionelles Ensemble für unsere Gäste und Interessierte während ca. einer Stunde. Dieser Anlass ist auch öffentlich und wird auf der Homepage http://www.wirrgarten.ch/index.htm publiziert.

 

 

 

6.2 Praxiserfahrungen – Klang- und Bewegungsraum während der Planung und Aufbauphase

 

6.2.1 Rüdlingen-Ferienwoche

 

Einmal im Jahr bieten wir eine Woche Ferien für MmD an. Nebst Gästen die wir auch das Jahr hindurch in unserer Tagesstätte begleiten, kommen 2 bis 3 externe Gäste dazu.  Im ersten Jahr, bei dem ich während dieser 24-Std-Betreuung dabei war, startete ich versuchsweise, jeweils morgens von 10:00 bis 11:30 Uhr, in einem separaten, speziell mit mitgebrachten Instrumenten eingerichteten Raum, mit meinem Projekt Klang, Musik und Bewegung zum mittmachen oder auch nur zuhören. Ich plante für eine Gruppe von 3 bis 8 Personen. Zudem fand ich wichtig, zu unregelmässigen Zeiten, je nach Bedarf und Möglichkeiten, Einzelsettings anzubieten. Dieser Raum war durch einen schmalen Gang erreichbar und abseits des täglichen Geschehens etwas abgeschirmt. Auf dem Weg durch den Gang entstand eine Spannung, für viele im positiven Sinne, was einen wohl erwartet am Ende des Ganges. Hierzu muss ich erwähnen, dass für eine Minderheit dieser Gang eine unangenehm einengende Wirkung hatte.  Gleichzeitig wurde es ruhiger, je näher wir dem Raum kamen. Der Raum selbst strahlte eine schon fast andächtige Stimmung aus. Kombiniert mit einer Vielzahl von Instrumenten, bekannte und unbekannte, welche auch dekorativ wirkten, entstand eine anregende, einladende und zugleich meditative Stimmung. Die meisten Tagesgäste waren offensichtlich angetan von der Stimmung und diesem ruhigen Ambiente und konnten dies teilweise verbal ausdrücken. Andere wiederum setzten sich entspannt in einen Sessel, oder gingen im Raum umher um die Instrumente genauer zu betrachten. Einige stellten auch gleich Fragen wie: was für ein Instrument dies sei, woher es kommt und wie es klingt. Der Ort, beziehungsweise der Raumwechsel und die angenehme ruhige Atmosphäre, brachte einige Gäste in die Präsenz und wirkte anregend. Wenn ich erzählte, woher ein Instrument kommt und etwas darauf vorspielte, hörten einige interessiert zu und stellten weitere Fragen oder sie knüpften auch an eigene Erinnerungen an und begannen selbst von sich und ihrer persönlichen Geschichte zu erzählen. Einige getrauten sich von selbst die Instrumente auszuprobieren. Andere wiederum brauchten ein wenig Anleitung, um den zum Teil exotischen Instrumenten selbst einige Klänge zu entlocken. Für Frau F. und Hr. S. schien der enge, etwas dunkle Gang Mühe zu bereiten. Eine enge Begleitung und klare Führung war unumgänglich, damit sie mit in der Gruppe sein konnten. Dies erforderte, dass nebst mir mindestens zwei weitere Betreuungspersonen anwesend waren. Frau F. ging auch gerne im Raum umher und musste weiter eng begleitet werden um zu vermeiden, dass Sie stürzte oder einem anderen Gast auf die Füsse trat. Herr G. beklagte sich lautstark und aggressiv, als ich auf einem Instrument vorspielte, welches für ihn zu laut war. Hierzu kommt die Tatsache: was für die einen passt, passt nicht für alle. Auch diese Situation regte zum Diskutieren an, auch wenn es erst unangenehm ist, wenn sich die einen über etwas freuen und sich die anderen über dasselbe ärgern. Andererseits freu ich mich nachträglich darüber, dass Hr. G. seine Meinung offen und authentisch äussern konnte und dies Platz hatte in der Gruppe. Die Herausforderung für mich bestand im Annehmen seiner Kritik. Seinen Ärger, welchem er Luft verschaffte, als gesunde Reaktion zu verstehen ohne mich persönlich angegriffen zu fühlen: seinem Ärger steht gleichzeitig die Enttäuschung der anderen Gäste gegenüber, welche sich im Hörgenuss unterbrochen fühlten und sich wiederum über das Verhalten und Schimpfen von Hr. G. ärgerten. Ich konnte die Situation entschärfen, indem ich nach einer kurzen, angeregten Diskussion auf einem sehr ruhigen Instrument spielte, was zum Glück allen gefiel. Die Harmonie in der Gruppe war wiederhergestellt und Hr. G schlief sogar zu unserem Erstaunen entspannt in seinem Sessel ein, was bei einigen ein verschmitztes Lächeln ins Gesicht zauberte, als wir dies bemerkten. Im Verlauf der Woche stellte ich die Gruppen bewusster zusammen. So experimentierte eine Gruppe mit Hingabe und Ausgelassenheit, von leise bis laut, von langsam bis schnell, tanzte und bewegte sich auch im Raum. Eine andere Gruppe war eher von den sanften Klängen angetan und improvisierte schon fast meditativ. Fr. G. und Hr. S. genossen es als Zuhörer mit dabei zu sein.

 

 

 

6.3 Fallstudien von Tagesgästen einzeln und in der Gruppe

 

6.3.1 In der Tagesstätte im Atrium, Basel

 

Einige Gäste kommen gerne regelmässig in den Raum. Andere kommen ab und zu und einige auch nicht. Um sicherzustellen, ob die gesteckten Ziele auch erreicht werden bezüglich Sinn, Zweck des Raumes, dokumentiere ich das Sein im Raum einiger Gäste über eine Zeitspanne von höchstens 1 Jahr. Aufgrund der Tatsache, dass wir eine Tagesstätte sind und viele Menschen oft in kurzer Zeit kommen und gehen, habe ich mich entschlossen, mehrere Fallbeispiele zu dokumentieren. Im Weiteren geht es mir auch nicht darum, im therapeutischen Sinne zu wirken, also Veränderungen im positiven und negativen über längere Zeitabschnitte zu dokumentieren. Im Wesentlichen soll vielmehr der momentane Zustand dokumentiert werden, der Moment während des Bewegens im Klangraum. Das Vorher und Nachher wird einbezogen, weil es einen bewussten Übergang braucht, um dem Tempo sowie der Befindlichkeit des Gastes Rechnung zu tragen. Von zentraler Wichtigkeit ist die Anerkennung der einzelnen Menschen als Individuen, wie Sie Dawn Brooker in ihrem Buch personen-zentriert pflegen beschreibt. Hier einige Beispiele: Identifizieren Sie Stärken und Verwundbarkeiten innerhalb eines breiten Spektrums von den auf Pflege angewiesenen Menschen vorhandenen Bedürfnissen? Gibt es eine individualisierte Pflegeplanung? Sind individuelle Vorlieben und Abneigungen bekannt und werden sie entsprechend berücksichtigt? Kennen die Pflegemitarbeiter die Lebensgeschichten derjenigen, die sie pflegen? Sind sie mit den Schlüsselgeschichten zu jenen Lebensabschnitten vertraut, auf die der Einzelne besonders stolz ist? (Dawn Brooker).

 

6.3.2 Dokumentation

 

Um zu überprüfen, ob und was es dem Gast bringt und inwieweit die gesteckten Ziele erreicht werden, beziehe ich mich auf Kriterien der personenzentrierten Pflege und Betreuung, sowie auf die Bedürfnisse nach Tom Kitwood und Dawn Brooker welche diese weiterentwickelte. Dazu benutze ich ein Fallbeispielraster, welcher ich speziell auf das Klangraumschaffen mit unseren Tagesgästen zugeschnitten habe. Parallel dazu mache ich mir Notizen vom Verlauf der jeweiligen Sequenzen. Beobachtungen, Interventionen, Informationen sowie Interpretationen sollen klar zu unterscheiden sein.

 

 

 

6.3.3 Fallbeispiel 1.

 

Name des Tagesgastes

 

Herr R.

 

Datum

 

28.10.2014

 


Interesse / Lebensthemen

 

Herr R. ist im Appenzell aufgewachsen, Bergsteigen, Geographie, Ländler Musik, Spengler von Beruf

 

Besonderes

 

Herr R. kann sich kaum mehr verbal ausdrücken, leidet unter starker Aphasie (siehe auch unter Kognitive Symptome der Demenz: Seite 12) Er hat einen starken Bewegungsdrang (motorische Unruhe), geht oft ununterbrochen in der Tagestätte umher. Er nimmt kaum von sich aus Kontakt auf und wirkt verloren, ängstlich und unsicher. Er kann sich örtlich wie zeitlich kaum orientieren. Seine Bewegungen sind wegen fortgeschrittener Apraxie (siehe auch Seite 12) ebenfalls stark eingeschränkt. Starke Störungen der Exekutivfunktionen (siehe auch Seite 12) deuten auf eine typische Form von frontotemporaler Demenz hin. (Physiologische Ursache ist eine Degeneration von Nervenzellen im Stirn- und Schläfenlappen des Gehirns)

 

Bedürfnisse nach Kitwood

 

Identität: Merkmale die gerade ihn ausmachen, Gefühl von Sicherheit, Verbunden sein, Handelnder sein, eine Stimme haben.

 

Beschreibung

 

Herr R. braucht klare Führung damit er sich eingeladen fühlt und mit mir gemeinsam den Klangraum begehen kann. Von sich aus geht er durch den Raum, sieht sich immer wieder kurz ein Instrument an und nimmt auch ab und zu eins in die Hand. Ertasten und anschauen scheint ihm zu gefallen. Ich animiere ihn dazu, auch einmal dem einen oder anderen Instrument einen Klang zu entlocken. Dazu spiele ich kurz ein Instrument an und biete ihm an dies selbst zu probieren, auf das er sich auch einlässt. Einen Moment lang setzt er sich auf das Sofa.

 

Wahrnehmung / Beobachtung (verbaler Ausdruck, Mimik, Gesten, Verhalten…) TG (Tagesgast)

 

Herr R. ist neugierig und wirkt interessiert, jedoch auch leicht verunsichert und hilflos. Von sich aus getraut er sich kaum die Instrumente auszuprobieren. Er kann meine Hilfestellungen und Animation annehmen und wird aktiver. Sein Gesichtsausdruck entspannt sich zunehmend. Er sagt auch klar nein, wenn ihn etwas nicht interessiert und wendet sich ab. Das Wort schön sagt er immer wieder wenn ihm etwas gefällt. Auch die ihm vertrauten Begriffe wie Geissenglocke, Kuh macht Muh, Alpaufzug, Appenzeller Musik, Zittre usw. wiederholt er bestätigend und mit einem Lächeln im Gesicht. Dank klarer Führung kann er auch kurze Momente selbst ein Instrument zum Klingen bringen, was er dann stets mit dem Wort schön abschliesst. Seinen Bewegungsdrang kann er weiterhin ausleben, indem er sich nur kurze Zeit einem Instrument zuwendet und bald zum nächsten geht.  

 

ICH (meine Interventionen/Führung)

 

Ich lasse Herrn R. Zeit und Raum, spreche ihn immer wieder mit seinem Namen an, wenn ich ihn einbeziehe. Wenn er Interesse für ein Instrument zeigt, animiere ich ihn, es zu berühren, darauf zu spielen, auszuprobieren wie es klingt. Ich spiele ihm kurze Sequenzen vor. Beim Monochord führe ich seine Finger sanft über die Saiten. Die Kuh- und Geissenglocken gebe ich ihm in die Hand. Das Xylophon bearbeiten wir gleichzeitig mit den Schlägern. Bewusst erwähne ich Wörter und spreche Situationen im Zusammenhang mit den Klängen an, die meines Wissens positive Erinnerungen in ihm wecken könnten. Ich bestätige sein Spiel indem ich mein Gefallen daran ausdrücke.

 

Auswertung

 

Identität, eine Lebensgeschichte haben: Erinnerungen wurden geweckt und zeigten bei Herrn R. positive Wirkung. Geborgenheit: Gefühl von Sicherheit, reduzieren der Ängstlichkeit und Entspannung wurden bewirkt. Herr R. und ich sind in dem Moment des gemeinsamen Klingens verbunden, Herr R. kann es annehmen, umsorgt zu sein und gibt auch Klänge von sich. Er hat eine Stimme. Er handelt selber und sein Handeln hat eine Bedeutung. Er bestimmt was er will und was nicht.

 

Alternativen / weiteres Vorgehen

 

Es hat sich herausgestellt, dass Herr R. in einer Gruppe im Klangraum überfordert ist. Er wirkt verloren und verunsichert. Herr R. geht manchmal von sich aus in den Klangraum und schaut sich um. Auf Grund massiver Störungen seiner Exekutivfunktionen (siehe Seite 12) ist es Herrn R. nicht möglich, komplexe zielgerichtete Abläufe zu planen oder auszuführen. Um aktiv mit den Instrumenten zu spielen, braucht Herr R. klare Führung. So begehen und bespielen wir weiterhin gemeinsam zu zweit den Raum.

 

 

 

6.3.4 Fallbeispiel 2.1

 

Name des Tagesgastes

 

Frau F.

 

Datum

 

13.11.2014

 

Interesse, Lebensthemen

 

Handarbeit, Musik, Sprachen, Dichten, lustige Verse, Hund, Familie, gesellig sein.

 

Besonderes

 

Frau F. hat mit starken Schmerzen zu kämpfen und wirkt deshalb oft gereizt und kann nur noch langsam und unsicher gehen. Obwohl sie sehr unternehmungslustig und gesellig wäre, ist die Auswirkung der Demenz Lethargie, Apathie und mangelnde Eigen-Initiative. Sie hat einen ausgeprägten Sinn für Humor. Sie flirtet gerne mit Männern und reagiert ab und zu mit Eifersucht auf Frauen. Ihre zunehmenden kognitiven Einschränkungen nimmt sie wahr und dies ärgert sie. Manchmal wirkt sie auch depressiv. Sie konnte früher Klavier spielen und wenn sie dies heute versucht, ist sie fixiert auf „alle meine Entlein“. Sie kann dies nicht fehlerfrei spielen, so dass sie sich über sich selber aufregt und sich selbst herabwürdigt.

 

Event/ Erlebnis

 

Gemeinsam mit einem weiteren Gast (Frau St.) und mir im Klangraum aktiv sein, feiern.

 

Bedürfnisse nach Kitwood

 

Entspannung, Beruhigung, Wärme und Nähe vermitteln, Merkmale die gerade sie ausmachen, Verbunden sein, Geben und Nehmen, Handelnde sein, Sinnvolles tun, Teil des Ganzen sein, Mitbestimmen.

 

Beschreibung

 

Frau F. betritt mit Fr. St. und mir den Raum. Ich führe beide behutsam durch den Raum und lade sie ein, auf diversen Instrumenten zu spielen. Trommel, Koto, Xylophon, Drehorgel-Spieldose, Holzblock und Kuhglocke werden von Fr. F. experimentierfreudig angespielt. Ich begleite sie teilweise mit meiner Stimme und auf Instrumenten. Es kommt zu Interaktionen zwischen Frau F, Frau St. und mir.

 

Wahrnehmung / Beobachtung (verbaler Ausdruck, Mimik, Gesten, Verhalten…) TG

 

Zuerst schlägt Fr. F. stark mit dem Stock auf die Trommel und sagt lautstark dazu: i bi verruckt! (ich bin verärgert). Sie lässt Dampf ab. Sie zieht den Stock auch drohend auf, um andeutungsweise auf mich einzuschlagen. Dies kann sie jedoch gut kontrollieren und es bleibt Ausdruck ihres Humors. Weiter bringt sie diverse andere Instrumente zum Tönen und lässt sich auf gemeinsames Gestalten von Klangbildern und Bewegungen ein. Bemerkungen von Fr. St. ihr gegenüber, welche teils aufbauend, teils irritierend und auch beleidigend sind, scheinen Fr. F. nicht zu verunsichern. Einerseits wirkt Fr. F. selbstsicher und stark, andererseits fragt sie immer wieder, ob sie es gut macht. Fr F. kann einen Puls gleichmässig über längere Zeit spielen und legt so eine Basis, auf der ich aufbauen kann und weitere Stimmen dazu spielen kann.

 

ICH (mein Empfinden, Bedenken, Wahrnehmung)

 

Ich bin überrascht, wie die ganze Stimmungspallette gelebt werden kann in einem kontrollierten, geschützten Rahmen. Das Einbeziehen von Frau St. empfinde ich als gelungen und sinnvoll, obwohl Frau St. aufgrund ihrer ausgeprägten Unsicherheit und Verlorenheit ebenfalls sehr grosse Aufmerksamkeit und Zuwendung braucht. Zu Beginn kamen einige Bedenken in mir auf und ich befürchtete, dass die Stimmung kippen könnte. Umso grösser ist meine Erleichterung und Freude über die Entwicklung, welche sich ergibt, durch das Zulassen von Unvorhersehbarem und eingehen eines gewissen Risikos. Ich bestätige mehrmals, dass sie es gut macht und ich mich sehr freue über ihre Teilnahme.

 

Auswertung

 

Frau F. kommt in die Präsenz und blüht auf in der Aktivität. Ihr Zustand von Apathie sowie ihre Schmerzen wirken für diese gemeinsame Zeit wie aufgelöst. Sie kommt in Resonanz und Bezug, hauptsächlich mit sich, der Musik und mir, aber auch mit Fr. St. Von den teils abwertenden Bemerkungen seitens Fr. St. lässt sich Fr. F. wenig irritieren. Durch ihren konstanten und regelmässigen Puls beim Schlagen der Trommel wird Fr. F. zum tragenden Zentrum im Zusammenspiel. Sie hat eine wichtige Bedeutung, nimmt Einfluss auf das Geschehen, kann etwas geben und ist in Verbindung mit uns. Sie holt sich selbst die Bestätigung, dass sie es gut macht und kann das Lob auch annehmen. Angenommen sein mit all ihren Emotionen, Aggressionen ausdrücken dürfen und können, deute ich als ein Zeichen von Vertrauen und einem Gefühl von Sicherheit. Auch ihre Art von Humor bekommt ein Gesicht und ihre ganz persönliche Identität wird spürbar. Frau F. gibt sich eine Stimme und bestimmt mit.

 

Alternativen / weiteres Vorgehen

 

Beim nächsten Mal werde ich Frau F. mit Herr B. und mir zusammen in eine Gruppe nehmen. Dadurch erhoffe ich mir, dass Frau F. weniger der Kritik ausgesetzt ist und noch mehr Bestätigung bekommt.
Diese Kombination stellt sich für Frau F. als passend heraus. Sie geniesst die Aufmerksamkeit von Herrn B. sehr. Auch weitere Kombinationen mit anderen Tagesgästen werden ausprobiert und reflektiert. Um das weitere Vorgehen zu dokumentieren, erstelle ich ein weiteres Fallbeispiel derselben Person zu einem späteren Zeitpunkt. Ich plane einen Input für zwei externe interessierte Personen gemeinsam mit Frau F. und mir. Zwei medizinische Praxisassistentinnen, die eine Vertiefungsarbeit zum Thema Menschen mit Demenz machen, laden wir ein. Bewusst betone ich, dass wir, Frau F. und ich, einladen, um so Frau F. die Anerkennung der Gastgeberin zukommen zu lassen.

 

 


 

 

6.3.5 Fallbeispiel 2.2

 

Name des Tagesgastes

 

Frau F.

 

Datum

 

22.01.2015

 

Interesse / Lebensthemen

 

Siehe Beispiel 2.1

 

Besonderes

 

Siehe Beispiel 2.2

 

Event / Erlebnis

 

Ich wurde von Frau I. und Frau R. (beides medizinische Praxisassistentinnen) angefragt, ob sie einen Besuch bei uns machen könnten, um einen Einblick ins Klangraum-Schaffen zu bekommen. Sie schreiben im Rahmen ihrer Ausbildung eine Vertiefungsarbeit mit dem Thema Menschen mit Demenz und interessieren sich im speziellen für das Thema Klangraum für MmD. Ich zeige ihnen zuerst die Räumlichkeiten, gebe das Theorieblatt zum Input ab und erzähle kurz das Wesentliche über die Arbeit im Klang- und Bewegungsraum, sowie das weitere Vorgehen. Um einen repräsentativen Einblick in dieses Schaffen zu gewähren, gestalte ich solche Inputs wenn möglich als Einladung. Das heisst, ich biete einem oder mehreren Tagesgästen am Tag X spontan an, gemeinsam mit mir einen Gast, oder auch mal zwei Gäste, von extern einzuladen, um zu musizieren oder zuzuhören. Dazu braucht es ein wenig Fingerspitzengefühl und die Bereitschaft zum Risiko. Die Tagesverfassung des Gastes und der Gäste unserer Tagesstätte gilt es sorgfältig einzuschätzen. In der Regel kenne ich die Gäste und habe schon einige gemeinsame Erfahrungen bezüglich Klangraum mit ihnen gemacht. Trotzdem ist eine ungewohnte neue Konstellation mit Menschen und eine spezielle Situation, die nicht bis ins Detail planbar und es schon gar nicht voraussehbar ist, was sich daraus ergeben wird. Grundsätzlich habe ich jedoch gute Erfahrungen damit gemacht.

 

Bedürfnisse nach Kitwood

 

Verbunden sein, Geben und Nehmen, Handelnde sein, Sinnvolles tun, Teil des Ganzen sein, Mittbestimmen, Bestätigung, Einbeziehen, Bindung, Wohlbefinden, etwas ermöglichen.

 

Beschreibung

 

Am Tag X ist Frau F. bereit, mit mir zusammen die zwei externen Gäste einzuladen und ihnen den Klangraum zu zeigen. Zuerst setzen sich die beiden Gäste und Fr. F. spielt zusammen mit mir auf diversen Instrumenten vor. Fr. F. spielt auf Gong, Xylophon und Koto. Auf dem Koto spielen wir gemeinsam. Sie improvisiert mit Ausdauer und Freude. Nach einiger Zeit wechseln wir die Rollen. Fr. F. und ich setzen uns und hören zu. Die beiden jungen Frauen erklären sich bereit uns etwas vorzuspielen. Zum Schluss wird jeweils geklatscht um uns gegenseitig zu würdigen. Am Schluss geben wir uns erfüllt vor Freude zum Abschied die Hände.

 

Wahrnehmung / Beobachtung (verbaler Ausdruck, Mimik, Gesten, Verhalten…) TG

 

Zuerst ist Fr. F. etwas unsicher. Sie äussert ihre Bedenken in dem sie mehrmals fragt, ob sie es richtig macht. Sie kann sich gut konzentrieren und lässt sich kaum ablenken durch die beiden Zuhörerinnen. Fr. F. nimmt die Rolle der Gastgeberin an. Ihr Gesichtsausdruck wirkt entspannt und motiviert. Auch das Lächeln in ihrem Gesicht zeigt, dass sie sich freut über den Besuch und interessiert ist an dem, was Frau F. macht. Die Würdigung durch klatschen nach dem Vorspielen kann Fr. F. sehr geniessen und annehmen. Auch sie klatscht begeistert, als die beiden jungen Frauen ihr vorspielen. Fr. F. wirkt durch ihre Haltung und ihren Gesichtsausdruck zunehmend gestärkt, selbstsicher und zufrieden.

 

ICH (mein Empfingen, Bedenken, Wahrnehmungen)

 

Ich stelle fest, dass gerade durch die Anwesenheit der beiden Zuhörerinnen die Konzentration und Aufmerksamkeit gesteigert wird. Es berührt mich sehr, mit welcher Hingabe und Offenheit Frau F. mitmacht und mitbestimmt. Alle Beteiligten tauchen ein in eine gemeinsame Klangwelt. Es entsteht eine konzentrierte und zugleich verspielte Atmosphäre umgeben von Wertschätzung, Akzeptanz und Bereitschaft etwas von sich preiszugeben.

 

Auswertung

 

Ein wirklich gelungener Anlass. Die Bedürfnisse nach Kitwood sind erfüllt. Frau F. durfte In Gesellschaft sein und die Anerkennung erfahren. Sie hat auf eindrückliche Weise etwas bewirkt und konnte ganz klar mitbestimmen. Auch Ihre Persönlichkeit als Zuhörerin war wichtig. Kombiniert mit einem Input und Öffentlichkeitsarbeit, durch die Mitwirkung Externer, hat sich das Risiko in diesem Sinne gelohnt. 

 

Alternativen

 

Weitere Begehungen im Klangraum eins zu eins und mit anderen Gästen sind mit Sicherheit sinnvoll.

 

 

 

6.3.6 Fallbeispiel 3

 

Name des Tagesgastes

 

Herr P. und Herr St.

 

Datum

 

10.02.2016

 

Interesse / Lebensthemen

 

Herr P.: Hauptthema ist seine Arbeit in der Pharmaindustrie, Indien sein Herkunftsland, Mandala malen, Spazieren

 

Herr St.: Kontaktfreudig, Gesellig, Ehemals Antiquitätenhändler mit eigenem Laden, Spazieren

 

Besonderes

 

Herr P.: Aufgrund der Auswirkungen der Demenz kann Herr P. seine örtliche Umgebung und Personen um ihn herum nur schwer ein- und zuordnen. Er sagt oft, er müsse jetzt zur Arbeit oder nach Hause. Er ist sehr aufmerksam, nimmt gerne Augenkontakt auf und ist gesellig. Herr P. wirkt oft sehr verloren, abwechselnd unruhig oder apathisch, ist angewiesen auf enge Begleitung und Anleitung. Aufgrund der Aphasie (siehe Seite 12) macht Herr P. meistens nur noch unvollständige kurze Sätze, die sich teilweise stereotypisch wiederholen. Eine Apraxie (siehe Seite 12) zeigt sich deutlich durch Schwierigkeiten beim Gehen und Abliegen, oder auch beim Schuhe binden und Reissverschlüsse zumachen.

 

Herr St.: Lacht gerne herzhaft, was manchmal etwas überdreht wirkt. Er leidet unter starker Aphasie, (siehe Seite 12) spricht nur noch einige wenige Worte. Er überfordert mit seinem starken Bewegungsdrang, mit seiner Unruhe und Impulsivität manchmal andere Gäste. Herr St. ist gesellig, nimmt gerne Augenkontakt auf, ist hilfsbereit, geht auf andere zu, sagt klar nein, wenn er etwas nicht will, oder ja, wenn er etwas will, versteht noch einiges, was gesagt wird und braucht klare Strukturen und Begleitung.

 

Event / Erlebnis

 

Herr P. und Herr St. sind beide angewiesen auf engmaschige Begleitung. Heute ist eine interessierte freiwillige Mitarbeiterin bei uns und ich entscheide mich in dieser Konstellation den Klangraum zu begehen. So kann Frau R. (freiwillige Helferin) bei Herr St. assistieren und ich assistiere bei Herr P. Zu Beginn und auch zwischendurch animiere ich behutsam. Ansonsten versuchen Frau R. und ich die Impulse von Herr P. und Herr St. aufzunehmen, zu spiegeln und zu unterstützen.

 

Bedürfnisse nach Kitwood

 

Geborgenheit, Wohlbefinden, Gefühl von Sicherheit, Identität, Geben und Nehmen, Verbunden sein, Sinnvolles tun, Handelnder sein, Teil des Ganzen sein, eine Stimme haben.

 

Beschreibung

 

Wir kommen alle gemeinsam in den Raum. Wir schauen uns um und das eine wie andere Instrument wird kurz angespielt. Herr P. ist etwas unsicher auf den Beinen und lässt sich bald auf dem Sofa nieder. Ich stelle eine grosse Handtrommel zu ihm, die er gut im Sitzen spielen kann, worauf er gleich geschickt mit seinen Fingern darauf tippelt. Er setzt auch nach gewissen Momenten mehrmals Akzente, wird kurz lauter um dann einen Schlusston zu setzen. Ich passe mich seiner Dynamik an. Auf diese Weise übernimmt Herr P. die Funktion des Dirigenten. Herr St. versucht sich auf dem Xylophon, von dessen Klang er angetan zu sein scheint. Da Herr St. nur kurze Sequenzen spielt, animiert ihn Frau R., indem sie jeweils in seinen Pausen weiterspielt. Herr St. setzt dann wieder ein, so dass zwischenzeitlich auch beide gleichzeitig spielen. Ich spiele einen regelmässigen Puls auf der Rahmentrommel und allmählich verbindet sich unser Spiel. Auch die Dynamik welche Herr P. einbringt, wird von uns allen übernommen, so dass es mal leise, mal laut, mal schneller und mal langsamer wird. Herr P. bringt seine Stimme mit ein, indem er die Akzente, welche er auf der Trommel spielt, gleichzeitig auch singt. Dies wiederum überträgt sich auf uns so, dass wir uns getrauen, ebenfalls die Stimme einzusetzen. Dies bringt uns dann hin und wieder zum Lachen. Ein echter Rhythmus- und Klangdialog entsteht. Während Herr P. gerne im Sofa sitzend weiterspielt, geht Herr St. auch im Raum umher. Er spielt weiter auf der Rahmentrommel, auf dieser schlägt er recht heftig und laut. Als ich ihm anbiete, auf dem Gong zu spielen, kann er dies deutlich mit nein ablehnen. Zum Schluss feiern wir unser Zusammenspiel mit gegenseitigem Applaus.

 

Wahrnehmung / Beobachtung (verbaler Ausdruck, Mimik, Gesten, Verhalten…) TG

 

Herr P. ist angewiesen auf Begleitung und lässt sich animieren aktiv zu sein. Er hat lange Geduld beim Spielen. Er nimmt uns Mitspielende deutlich wahr, lässt sich ein auf das Zusammenspiel, mit Gestik und Augenkontakt, sowie rhythmischen und dynamischen Variationen auf dem Instrument. Auch seine Stimme setzt er akzentuiert ein und improvisiert mit Freude. Herr P. setzt sich offensichtlich gerne in Szene und freut sich über die Interaktionen, was seiner Identität sehr entspricht, hatte er doch beruflich früher eine leitende Position inne. Herr P. spielt oft sehr leise und feine Töne. Er kommentiert das Geschehen auch immer zwischendurch mit bruchstückartigen Sätzen auf Deutsch, manchmal verständlich, manchmal nicht, und mixt dann auch noch die indische Sprache abwechselnd dazu.

 

Herr St. lacht herzhaft, kommt gerne mit und zeigt sich interessiert beim Begehen des Klangraumes. Er sagt klar ja und nein, was aber leider nicht immer dem Wunsch entspricht, er sagt vielleicht ja und meint nein. Er drückt aber nonverbal, durch Gestik und Haltung aus, was er will und was nicht. Herr R. lässt sich gerne zeigen wie mit dem Schlegel auf der Trommel gespielt werden kann. Auch das Xylophon spielt er gerne. Er braucht klare Aufforderung und Begleitung zum Spielen. Von sich aus weiss er nicht so richtig, was er mit den Instrumenten anfangen soll. Seinem Temperament scheinen die lauten Töne und auch ein heftiges Schlagen der Trommel zu entsprechen. Er wirkt eher auf sich selbst bezogen beim Spielen. Wenn wir ihn bewusst und direkt ansprechen, oder beim Spielen anschauen und einbeziehen, reagiert er oft mit einem heftigen Lachen und strahlt über sein ganzes Gesicht.

 

ICH (mein Empfingen, Bedenken, Wahrnehmung)

 

Für mich ist es sehr hilfreich und interessant, dass sich mit Frau R. die Möglichkeit eines gemeinsamen Austausches der Beobachtungen und Erfahrungen ergibt. Sie erlebt alles von einem anderen Blickwinkel aus, da sie das erste Mal eine Klangraum-Begehung mitmacht. Da ich in der leitenden Position nicht alles gleichzeitig beobachten kann, und einiges was mir entgeht Frau R. dann wiederum sieht oder hört, wirkt sich dies bereichernd aus. Grundsätzlich fühlen wir uns beide wohl und sind beeindruckt von dem Erlebten. Wir einigen uns auf die passende Definition, dass es wie ein Zeitfenster wirkt, dass uns in eine verspielte unbeschwerte Welt der Gegenwart blicken lässt.

 

Auswertung

 

Ein zentraler Punkt der zum Gelingen beigetragen hat, ist die engmaschige Begleitung des einzelnen Gastes. Nur so ist es möglich, als Gruppe in dieser Form und Konstellation zu improvisieren. Herr St. mit seiner Unruhe wäre sonst verloren und alleingelassen und könnte kaum solange mit dabei sein. Herr P. braucht immer wieder ein wenig Animation, damit er nicht in sich hinein versinkt und passiv verloren ist, oder eben andauernd sagt er müsse zur Arbeit oder nach Hause. Die zum Ziel gesetzten Bedürfnisse nach Kitwood wurden bei beiden Gästen mit Sicherheit erfüllt.

 

Alternativen

 

Herr P., Herr St. und ich zu dritt, jedoch kürzere Sequenzen. Eins zu Eins Situation mit jeweils nur einem Gast. Konstellation mit einem anderen Gast ausprobieren.

 

 

 

6.4 Zusammengefasste Erkenntnisse

 

In vielen Punkten bestätigen sich die Hypothesen 1 & 2

 

  • Interaktion zwischen Betreuungsperson und MmD ist von zentraler Bedeutung. Allein und aus Eigeninitiative heraus kann ein MmD nur in seltenen Fällen aktiv sein im Klangraum. Eine klare Führung ist erforderlich. Hypothese 2 wird somit bestätigt.

  • Ruhiges, angenehmes Ambiente im Raum als Basis zum Ankommen.

  • Raum soll begehbar sein ohne Stolpergefahren.

  • Raum soll visuell anregend sein, Reizüberflutung wird vermieden.

  • Gruppen sollen bewusst zusammengestellt werden. Die einen spielen gerne temperamentvoll und laut, die anderen leise, oder eben beides. Emotionen sollen Platz haben und gelebt werden dürfen. (Hypothese 2)

  • Konflikte dürfen sein. (Hypothese 1)

  • Aggressionen in einem gesunden Masse haben genauso Platz wie Freude, Trauer, Verzweiflung und ‚kindliche‘ Unbeschwertheit. (Hypothese 1)

  • Eine Gruppe soll mindestens von zwei Betreuungspersonen begleitet sein, um flexibel reagieren zu können bei unvorhergesehenen Situationen. z.B.: um eine Person zu begleiten, welche die Gruppe verlassen will, so dass die anderen nicht unterbrochen werden. Oder auch um Hilfestellung zu leisten beim Bedienen der Instrumente.

  • Einige Instrumente haben sich klar als geeignet herausgestellt: z.Bsp.  Rahmentrommel, Rassel, Klangspiel usw. sind einfach in der Handhabung und auch gehend oder tanzend spielbar. Andere als klar ungeeignet: z.Bsp. Gitarre, Blasinstrumente, Akkordeon usw. sind zu komplex und überfordern MmD.

  • Grundkenntnisse in Kinästhetik, Tanz und Gymnastik sind sinnvoll und hilfreich.

  • Beobachtungsgabe, Einfühlungsvermögen, Empathie-Fähigkeit und gute Grundkenntnisse in personenzentrierter Begleitung von MmD sind wichtig, um diese achtsam an die Instrumente heranzuführen, damit sie ihrem Tempo und ihren Fähigkeiten entsprechend, ihren eigenen persönlichen Klang und Rhythmus ausdrücken können. (Hypothese 1 & 2)

  • Der Klangraum kann einzelnen Gästen auch als Rückzugsmöglichkeit dienen, um sich mal von der Gruppe zu distanzieren, dies alleine oder mit Begleitung. (Hypothese 1)

  • Das Erleben, ein wichtiger Teil der Gruppe zu sein, wird möglich gemacht. (Hypothese1)

  • Gäste können auch im passiven Modus zuhören und entspannen. (Hypothese 1)

  • Erinnerungen an persönliche Geschichten können durch Klänge geweckt werden.

  • Angenehme sowie unangenehme Gefühle werden geweckt. (Hypothese 1)

  • Psychische und physische Beweglichkeit kann gefördert werden. (Hypothese 1)

  • Nonverbal kann seinem Wesen Ausdruck verliehen werden. (Hypothese 1)

  • Aktivität und Freude im Hier und Jetzt. (Hypothese 1)

  • In einer Nische selbstbestimmt sein: was will ich, was will ich nicht. Ja, nein sagen oder ausdrücken mit Gestik und Mimik und darin wahrgenommen werden. (Hypothese 1)

  • Kreativ sein. (Hypothese 1)

  • Gehört werden, gesehen werden, in Resonanz sein mit anderen. Wahrgenommen werden und wahrnehmen. (Hypothese 1)

 

7 Externe Projekte

 

7.1 Klang und Bewegung im Wohnheim Roderis für Menschen mit Behinderung

 

Im Rahmen einer Projektarbeit, während der Ausbildung am iac, führten Marcel Kosa-Quarta und ich gemeinsam während einem Jahr regelmässige Events für Klang, Rhythmus, Tanz und Bewegung durch. 14 Menschen mit Behinderung, insbesondere solche mit Autismus und ähnlichen Wahrnehmungsverarbeitungs- und Verhaltensdefiziten, sowie zwei zusätzliche Betreuungspersonen hatten Gelegenheit, einmal wöchentlich abends intern in ihrem Wohnhaus, oder bei passendem Wetter draussen unter freiem Himmel, zu Musizieren, Klingen, Singen, Bewegen und Tanzen. Für die Teilnehmenden, welche tagsüber im Wald arbeiteten, war dies eine willkommene Abwechslung und sicher eine neue einmalige

Erfahrung. Die Skepsis und die Zurückhaltung, welche zu Beginn spürbar war, wich bald einer Begeisterung und Spielfreude, von der wir uns alle gegenseitig anstecken liessen. Grundsätzlich lässt sich vieles vom gemeinsamen Klang- und Bewegungsraum-Schaffen aus der Praxis in der Tagesstätte im Atrium auf die Arbeit mit Menschen mit Behinderung übertragen. Selbstverständlich braucht es auch hier fachlich kompetente Bezugspersonen, um die teilnehmenden Personen behutsam in Klang und Bewegung zu begleiten und allenfalls aufzufangen oder auch herauszuführen. Auch hier gilt es, die Konstellation einer Gruppe bewusst zu planen, zu
beobachten und zu reflektieren. Interessant zu beobachten waren für mich die unterschiedlichen Verfassungen einzelner von einem Mal zum andern. So hatte ich zum Beispiel gewisse Bedenken bezüglich eines jungen Mannes, der sich lautstark immer wieder in Szene setzte und auf Instrumente eindrosch, so dass einige andere Mitspielende irritiert waren. Beim nächsten Event bot ich ihm die zentrale Funktion an, auf der Harfe fortlaufend Grundtöne zu spielen. Damit konnte er eine zentral wichtige Position einnehmen und die Harfenklänge schienen ihn zu beruhigen, so dass er stetig, ohne aggressive Ausbrüche, konzentriert mit seinen Fingern über die Saiten zupfte. Ein wesentlicher Unterschied von diesem externen Projekt und dem Schaffen der Tagesstätte im Atrium besteht sicher darin, dass die Menschen mit Behinderung von Mal zu Mal kleine Lernschritte machen. So getrauen sich einige nach ein paar Wochen schon viel mehr zu als zu Beginn. Auch das Vertrauen mir gegenüber ist klar geprägt davon, dass sie mich nicht nur wiedererkennen, sondern immer besser kennen. Zusammenfassend kann ich sagen: Körperorientierte Musik, Rhythmus, Klang und Bewegung ist auch für Menschen mit Behinderung eine fantastische Erfahrung, im Moment gemeinsam kreativ zu sein.

 

 

 

7.2 Freies Tanzen zu Musikimprovisationen im Klangraum mit Profimusikern

 

Einmal pro Monat, jeweils am Freitagabend 19.30 - 21Uhr, im Raum für Tanz und Musik, Reuslistrasse 33, 4450 Sissach und im Sommer auf der Kernenweid in Sissach unter freiem Himmel, bieten Simone Kaiser und ich gemeinsam das freie Tanzen mit live Musik an. Das bedeutet, sich (wert-) frei bewegen nach Lust und Laune und ohne etwas zu müssen. Seinem innersten Impuls folgend, seiner inneren Stimme horchend. Es ist auch, den inneren und äußeren Raum erkunden mit ‚kindlicher‘ Neugier, erfrischend und belebend. Zu live Musik tanzen bietet die Gelegenheit, sich im gegenseitigen Dialog zu inspirieren. Von sanften, sphärischen Melodien bis zu feurigen Trommelrhythmen bieten die Musiker eine breite Palette von Klängen an, welche den Raum öffnen, um mit Bewegungen und Stimme zu experimentieren. Die Musik entsteht im Moment aus der Inspiration heraus, welche beeinflusst wird von den anwesenden Menschen, von den einzelnen Musikern und deren Stimmung, von der Umgebung, dem Raum oder der Landschaft und vielem mehr. Körperorientierte Musik, umgesetzt von Profimusikern, soll genauso für die Zuhörer und Tanzenden ein Genuss sein und nicht nur in erster Linie für die Spielenden selber. Das Experimentierfeld ist enorm groß und unglaublich vielfältig, wenn sich die Musiker/Innen darauf einlassen können. Profimusiker haben jedoch oft auch Hemmungen oder fixe Vorstellungen davon, was und wie Musik sein soll. Das macht es einigen schwer, diese ‚kindliche‘ Verspieltheit und das Risiko des Unvorhersehbaren mit antrainiertem Können und Virtuosität zu verbinden. Wenn dies jedoch gelingt, können neue Musik, neue Klänge und Rhythmen im Moment entstehen, die die Tanzenden gleichsam inspirieren, wie umgekehrt die Musiker/Innen sich von den Tanzenden und ihren Bewegungen inspirieren lassen. Es bieten sich also auch für professionell schaffende Musiker/Innen wie Tänzer/Innen körperorientierte Musik, Rhythmus, Tanz und Bewegung hervorragend an.           

 

 

 

 

 

 

 

7.3 Meine Lernerfahrungen am iac

 

Einer der wichtigsten Lernerfahrungen am iac war für mich, dass es eine Schule gibt, an der in hohem Masse wertfrei unterrichtet wird. Gerade in musischen Schulfächern sind viele Menschen blockiert von Werten und Leistungsdruck, welche in herkömmlicher Art von Schulung herrschen. So gilt es die gängige Meinung zu revidieren, wer ein/e gute Musiker/in, Tänzer/in ist.  In der Art und Weise, wie Rainer unterrichtet, konnte ich meine individuellen Qualitäten und Fähigkeiten bestens mit einbringen und weiterentwickeln. Selbstverantwortung und Eigeninitiative ist in diesem Schulsystem in einem hohen Masse erforderlich, sinnvoll und hilfreich, um das Entwicklungspotenzial möglichst voll auszuschöpfen. Dies konnte ich einfordern und bekam die nötige Unterstützung und den Raum dazu. Die wertschätzende, feinfühlige und immer auch auf den Menschen sowie den Moment bezogene Art, wie Rainer unterrichtet, bleibt mir in wegweisender Erinnerung.

 

7.3.1 Stimme

 

Die Stimme ist ein wichtiger Bestandteil für mich geworden und ich getraue mich leichter, sie einzusetzen, obwohl ich mir sehr wohl bewusst bin, dass ich keiner Gesangskarriere standhalten würde. Das Erkennen der Tatsache, dass unsere Sprache mit ihrer Melodie und ihrem Rhythmus bereits die Grundsteine von Musik enthält, lässt mich freier damit umgehen. Was wir aussagen hängt zum grossen Teil von der Musik unserer Sprache ab und nur zu einem kleineren Teil vom Inhalt. Die Klangfarbe, der Rhythmus, die Lautstärke, all dies hat eine sehr starke Aussagekraft, auch wenn wir die Worte nicht verstehen. Dies ist von grösster Bedeutung, auch im Begleiten von Menschen welche an Aphasie (Sprachstörung) leiden.

 

7.3.2 Rhythmus

 

Am iac habe ich mich wieder vermehrt an die Basis des Rhythmus zurückerinnert. Als Perkussionist habe ich mich Jahre lang auf Spiel-Techniken diverser Instrumente sowie komplexer Rhythmen aus Afrika, Kuba, Brasilien spezialisiert. In meiner Erinnerung war jedoch ausschlaggebend, dass ich mich zu Rhythmen bewegt hatte und gerne ohne Plan irgend auf einem Gegenstand rhythmisch mitklopfte, wenn am Lagerfeuer Gitarre gespielt wurde. Genau dieses unbeschwerte Bewegen, Trommeln und Klingen, was ich schon fast verlernt hatte, obwohl genau dies der Anfang war, genau das habe ich am iac wiederbelebt und neu entdeckt. Beim Unterrichten in meinen Perkussionskursen verbinde ich heute bewusst Bewegung, einfache Tanzschritte mit den auf Instrumenten gespielten Rhythmen. Genauso verbinde ich die Stimme und so entsteht eine ganzheitliche Unterrichtsform von Perkussionsmusik, Gesang und Bewegung. Das Thema Basis von Rhythmus-Stimme-Bewegung konnte ich in den 3 Jahren am iac noch wesentlich vertiefen mit den Anleitungen und Übungen in Bezug auf schamanistische Praktiken. Dieses uralte Wissen, das seit einiger Zeit wieder an Anerkennung gewinnt, nachdem es Jahrhunderte lang im speziellen von der westlichen Welt verteufelt oder belächelt wurde, verbirgt ein unglaublich grosses Potenzial, das wiederentdeckt und gelebt werden will.

 

7.3.3 Instrumente

 

Auf dem Klavier, Akkordeon, Geige und weiteren bekannten Instrumenten zu experimentieren, ohne Kenntnis von Spiel-Technik, getraue ich mich dank der Ausbildung mehr. Ich bin toleranter geworden und reagiere nicht mehr wertend, wenn Andere so auf Perkussionsinstrumenten spielen. Auch diverse Alltagsgegenstände zum Klingen und Schwingen zu bringen, bestätigt meine ursprüngliche Motivation, in die Klang- und Rhythmuswelt einzutauchen. Das Wiederentdecken ‚kindlicher‘ Leichtigkeit beim Spiel fasziniert mich auch im Alter von 53 Jahren von neuem.

 

7.3.4 Anleitungen von Gruppen

 

Wenn ich selbst eine Gruppe anleite, stelle ich fest, dass ich wacher bin, mehr Spannung im Körper habe und meine Präsenz steigern kann. Auch getraue ich mich, wenn nötig, emotional ein wenig zu provozieren, um die Gruppe zu animieren und zu begeistern. Das gemeinsame Bewegen und Musizieren empfinde ich meistens als reinigend und entspannend für die Psyche sowie für den Körper und als Seelen-verbindend. Es ist auch sehr wichtig, dass ich die Balance zwischen meinen Ideen und den Bedürfnissen der Teilnehmenden finde. Flexibilität und ein hohes Mass an Aufmerksamkeit werden geschult. Ich habe an mich den Anspruch, jedem Individuum seinen Platz in der Gruppe zuzugestehen. Ich versuche zu akzeptieren, dass alles seinen Sinn und seine Berechtigung hat, auch wenn ich es nicht immer verstehe.

 

7.3.5 Weitere Erkenntnisse der 3-jährigen Ausbildung am iac

 

  • Selbstvertrauen gewonnen beim Anleiten von Gruppen

  • Gelernt Fehler machen zu dürfen

  • Meinem inneren Klang und Rhythmus nähergekommen

  • Musik und Tanz ist immer und überall

  • Musik scheint in unsere Herzen hinein und macht glücklich

  • Die Essenz im Einfachen / Ton / Wort erkennen, hören

  • Ich höre differenzierter Musik oder wie jemand redet

  • Bin toleranter geworden

  • Mit dem Herzen sehen und hören

  • Alle Sinne bewusster brauchen

  • Ich nehme mich selbst mit

  • Mich mit andern teilen können

  • Ich bin achtsamer geworden

  • Mein Mut ist gewachsen, etwas zu tun

  • Bin darin bestärkt, mich meinem wahren Wesen anzunähern.

  • Das Bewusstsein wurde neu gestärkt, dass wir alle miteinander, mit der Erde und dem Universum verbunden sind

  • Ich kann mich ohne Worte mitteilen

  • Ich wurde reich beschenkt

  • Ich habe eine neue Welt entdeckt, was Musik auch noch sein kann

 

 

 

8 Andere Theorien / Parallelen / Wiedersprüche

 

8.1 Decker-Voigt, Wenn MmD Worte nicht mehr verstehen ist die Musik der Stimme wesentlich

 

8.1.1 Von der Begabung, auf Sprache zu verzichten

 

Die Meinung, MmD seien wie kleine Kinder, ist leider weit verbreitet. Es ist grundlegend falsch, allgemein Parallelen bezüglich Verhalten von MmD und Kindern zu ziehen. Nur punktuell und in ganz spezifischen Bereichen darf ein Bezug geschaffen werden. Hans Helmut Decker Voigt beschreibt in seinem Buch (Mit Musik ins Leben) im Kapitel die Musik des Stillens, wie sich Mutter und Kind auf einer lautlichen Kommunikationsebene verständigen. Ich denke, in einigen Punkten gibt es Übereinstimmungen. „Von eben dieser lautlichen Kommunikationsebene ist bekannt, dass in Vorstufen unserer heutigen Menschheitsgeschichte ausschliesslich mit ihrer Hilfe kommuniziert wurde, als es noch keine Sprache im heutigen Sinne gab. Es wäre zu kurz gegriffen, sich darunter eine gröbere Kommunikationsform vorzustellen. Es war zwar eine Vorstufe unserer heutigen sprachlichen Kommunikation, aber gleichzeitig eine Stufe, in der neben der lautlichen auch die Körpersprache unvorstellbar gut verstanden und beherrscht wurde“ (Decker-Voigt). Mir gefällt dieser Ansatz besonders gut, weil die Qualität dieser Kommunikationsform betont wird. Bei MmD wird oft ein zunehmender Verlust der Sprache festgestellt. Aphasie, Wortfindungsstörungen und Schwierigkeiten beim Verstehen komplexer Satzzusammenhänge erschweren zunehmend die Kommunikation. Die Bedeutung der lautlichen und der nonverbalen Kommunikation nimmt zu. Die Melodie, der Rhythmus und die Geschwindigkeit sind von zentraler Bedeutung. Im Gegensatz zum Inhalt, welcher nur noch erschwert oder zum Teil gar nicht mehr verstanden oder eben geäussert werden kann. Ebenso die Körperhaltung, Gestik, Mimik und Bewegungen sind zentrale Faktoren, die uns zur Verfügung stehen und bewusst eingesetzt sowie gelesen werden sollten.

 

8.1.2 Stimmen sind Signale

 

Eine Stimme, die spontan Freude an der Begegnung äussert, klar und frisch wirkt und ihre Vitalität durch den Äther schwingen lassen kann – kann selbst einen Morgenmuffel in den Tag katapultieren oder aus einem Stimmungstief herausholen (Decker-Voigt). Decker Voigt beschreibt weiter, wie gehörte Töne als Strukturhilfe dienen können. So zum Beispiel können Geräusche von Kochtöpfen und Geschirr aus der Küche Erinnerungen hervorrufen, ebenso Schritte auf einem Holzboden, das Plätschern eines Dorfbrunnens usw. Auch das Musikhören von CD, Plattenspieler und allgemein ab Konserven kann sinnvoll sein. Jedoch ist hier zu bedenken, dass die zwischenmenschliche Beziehung nicht ersetzt werden kann, welche beim gemeinsamen Klingen und Bewegen grundlegend wichtig ist. Wenn uns ein Mensch begegnet, möchten wir, dass er seinen Mund aufmacht, um uns die Musik seiner Stimme hören zu lassen. Damit stellt er sich vor. Wir wären verunsichert, wenn nichts von ihm hörbar wäre. Wir sind darauf angewiesen, dass uns jemand zunächst sein Wort gönnt, weil dieses eine erste musikalische Visitenkarte ist und eine wichtige Antwort mehr auf die Frage gibt: Wer ist die/der wohl? (Decker-Voigt)

 

8.1.3 Vitalitätsaffekte und Musikerleben

 

In diesem Kapitel beschreibt Decker Voigt ausführlich Vitalitätseffekte musikalischen Erlebens von Säuglingen und Menschen jeden Alters. Interessant ist dabei, dass die verschiedenen Gefühlsqualitäten mit denselben Ausdrücken wie die musikalischen Bauelemente beschrieben werden können. Musik eignet sich besonders gut, um unsere Gefühle sowie Vitalitätseffekte in allen Schattierungen auszudrücken. Musik berührt uns emotional, seelisch und auch unser vegetatives Nervensystem wird unmittelbar beeinflusst. Musik in jeder Form ist Zeitfluss, Ereignis in einer kleinen oder langen Zeit, in der alle diese Ausdruckformen von Vitalität und deren Affekten geschehen. Und Zeit spielt jeweils eine Hauptrolle in den Vitalitätseffekten. Menschen im hohen Lebensalter empfinden und zeigen Gefühle und deren Qualitäten wieder mehr, direkter und unmaskierter – wie als Kinder. Sie erleben Zugang zu einem Menschen weniger über den Verstand, die Ratio, sondern zunehmend mehr über Vitalitätseffekte, die im Zusammenhang mit dem Gegenüber wachsen, während die beobachtende Ebene zurückgeht. Die Affektabstimmung, die Abstimmung von Gefühlen und ihren Qualitäten aufeinander, zielt auf die Stimmung ab, die entsteht, wenn zwei Menschen ihre Gefühlswelten zusammenbringen. Nicht das Abstimmungsergebnis ist dabei wichtig, sondern der innere Prozess, die Zeit, die ein Mensch mit diesem Abstimmen erlebt. Und die kann sehr erfreulich sein…  (Decker-Voigt)

 

8.1.4 Welch Musik passt für wen und wann

 

Keine Musik weist objektiv in eine bestimmte Richtung. Ich kann inzwischen gar keine Musik mehr eindeutig empfehlen für irgendwas… (Peter Michael, Komponist, 1978). Ganz wichtig ist diese Erkenntnis, um nicht fälschlicherweise den eigenen Musikgeschmack jemandem aufzudrängen oder mit Lautstärke und Klangfülle eine Reizüberflutung zu provozieren. Zu diesem Thema schreibt Decker-Voigt ausführlich im Kapitel von Angst und Genuss beim Hören. Zum Beispiel über den Moro-Reflex. Wenn wir Klangquellen nicht kennen und vor allem nicht sehen, entwickeln wir Angst, selbst wenn die gleichen Klänge unter anderen Umständen harmonisch auf uns wirken und Genuss auslösen. Unser Ohr funktioniert in solchen Situationen als das was es in frühen Zeiten der Menschheitsgeschichte hauptsächlich war: Alarmorgan. Wir fahren sogar zusammen, wenn uns eine vertraute, liebe Stimme von hinten anspricht, als wenn sie uns überfiele…   (Decker-Voigt). Zu berücksichtigen sind auch die Übertragungen, welche durch Klänge, Geräusche und Musik ausgelöst werden können. Sei es die Musik der Stimme, die an jemanden aus der Kindheit erinnert, der Klang eines Mobiles usw. Solche Übertragungen können sich positiv wie negativ auswirken. Diesbezüglich sind Achtsamkeit und Bewusstsein wichtig.

 

8.1.5 Dieses Instrument kann ich nicht mehr spielen

 

Die verbreitete Annahme, bekannte, vertraute Instrumente eignen sich besser, kann auch im Wiederspruch stehen. Frau F. spielte früher gut und gerne Klavier. Wenn sie sich heute an ihr vertrautes Klavier setzt, versucht sie mit Müh‘ und Not, „alle meine Entlein“ zu spielen. Sie ärgert sich dann über sich selber, weil nicht einmal mehr das gelingt.

 

8.1.6 Dieses Instrument habe ich nie gelernt

 

Ein oft wiederholter Satz in der Musiktherapie, wenn erwachsene Menschen mit ihnen unbekannten Instrumenten konfrontiert werden. Da gerade MmD oftmals mit noch grösserer Verunsicherung reagieren auf Unbekanntes, ist es eigentlich widersprüchlich zu erwarten, dass sie mit fremdartigen, unbekannten Instrumenten improvisieren sollten. Jedoch habe ich die Erfahrung gemacht, dass im Gegensatz zu bekannten Instrumenten wie Klavier, Gitarre, Flöte usw. kaum Vorstellungen vorhanden sind, wie diese gespielt werden sollen und zu tönen haben. Dieser Erwartungsdruck fällt somit weg. Nun braucht es klare Strukturen, behutsame Führung, Offenheit und Improvisationsgeist, um sich gemeinsam mit dem Gast einem neuen, unbekannten Klangkörper anzunähern.

 

 

 

8.2 Barbara Gindl, die Resonanz der Seele

 

Ein wichtiges Grundprinzip beim gemeinsamen Musizieren, egal ob mit Profi-, Laien- Musikern oder eben MmD besteht in der Fähigkeit, in Resonanz zu kommen. Das einfache Zusammensein zweier Menschen ist nicht einfach ein Zustand, in dem nichts (Zielgerichtetes) passiert. Vielmehr bietet sich darin der nötige Freiraum, indem Austausch entstehen und etwas in Schwingung geraten kann. Wenn der Spielraum zu sehr durch Programme, Themen oder Übungen durchorganisiert ist, ist er zu dicht, es gibt darin keinen Raum mehr für dynamische Prozesse, die dieser Spielraum des „Einfach-nur Sein“ braucht. In diesem Freiraum haben auch Resonanzprozesse ihren Raum; ohne diesen Raum können sie nicht schwingen und etwas in Bewegung bringen. Vielmehr lassen sich beide auf das offene, das heisst nicht von Konzepten, Zielen, (Erfolgs-)Erwartungen verstellte Geschehen eines Miteinander-achtsam-Seins ein, das körperliche, seelische, geistige Erfahrungen gleichermassen berücksichtigt und in ihrem Ausdruck zulässt. (Barbara Gindl, die Resonanz der Seele). Jedenfalls ist es sinnvoll, als erstes gemeinsam in die Ruhe zu kommen, um überhaupt Raum zu kreieren für Neues. Speziell MmD leiden oft unter Resonanzlosigkeit. Hierzu noch ein Zitat aus dem Buch von Barbara Gindl, welches sehr passend das Wesentliche umschreibt. Menschen, die unter Resonanzlosigkeit, welche letztlich ein Nicht-in-Beziehung-Sein bedeutet, leiden, können oftmals nur erreicht werden, wenn diese Energie der Stille, die aus unserem offenen Herzen kommt, sie berührt und wieder ins Fühlen, ins Leben hineinholt, wieder in lebendige Schwingung versetzt. (Barbara Gindl). Auch Kitwood betont unter anderem im Kapitel „Person sein“ und „Beziehung und der Anteil der Betreuungsperson an der Interaktion“ die zentrale Wichtigkeit, von eben diesem in Bezug sein miteinander.  Wenn ich in Bezug gehe, in Resonanz komme mit einem MmD, ist es sehr wichtig, den Rhythmus, die Geschwindigkeit und die Dynamik bewusst wahrzunehmen. Dieses bewusste Wahrnehmen von meinem Gegenüber und mir selbst ist höchst anspruchsvoll und erfordert viel Praxis. Es wäre falsch davon auszugehen, dies könnte alleine anhand von lesen und studieren von Theorie erarbeitet werden. Ein weiterer hilfreicher Ansatz besteht in der Anwendung von Kinästhetik und die damit verbundenen Praktiken sowie theoretischen Ansätzen. In meiner Ausbildung Kinästhetik Grund- und Aufbaukurs 1 und während vieler Jahre praktischer Anwendungen, konnte ich diesbezüglich viele anregende und wertvolle Praxiserfahrungen sammeln, die sehr viel mit Resonanz zu tun haben. Sei es mit eigener Resonanz, Eigenwahrnehmung oder eben auch in Resonanz sein mit meinem Gegenüber. Kinästhetik hat zwar nicht in erster Linie etwas mit Musik zu tun, doch das Schulen der Sinne ist unglaublich wertvoll im Umgang mit Menschen allgemein, und ist im speziellen beim Begleiten von MmD sehr wertvoll.

 

 

 

8.3 Anna Halprin / Alter schützt vor Tanzen nicht

 

Mein Ausbildungsleiter Rainer Brückmann hatte das Glück, Anna Halprin während seiner Ausbildung bei ihr persönlich kennenzulernen. Ich wiederum habe das Glück durch Rainer, der seine Inspiration und Prägung aus dieser Zeit mit uns teilt und durch sein Schaffen weiterleben lässt, auf diese Weise teilhaben zu können. Für mich repräsentiert ihre Definition davon, was Tanz ist, wer Tänzer/in ist und auch was Musik ist und wer Musiker/in ist, etwas Grundlegendes. Ob jung, alt, gesund oder krank im physischen und psychischen Sinne, unabhängig vom gesellschaftlichen und religiösen Hintergrund der uns prägt. Jeder Mensch hat seine individuelle Musik und seinen Tanz in sich. Der Dokumentarfilm, Seniors Rocking (Alter schützt vor Tanzen nicht), zeigt auf wunderbare Weise auf, was möglich ist, wenn wir uns getrauen zu tanzen und zu musizieren. Ohne Wertung, Konkurrenzdenken oder antrainierten Hemmungen. Hierzu ein Zitat aus dem Film von Anna Halprin: Ich hoffe mit meinem Vermächtnis Tanz neu definieren zu können, und die Person des Tänzers! Es sollte all die Grenzen aufheben, die den Tanz von normalen Menschen trennen! Einige haben eine seltsame Vorstellung von Tanz, Tanz gäbe es nur auf der Bühne und sei ganz wenigen vorbehalten. Alles ist Tanz, jede Bewegung im Alltag! Und jeder hat Zugang dazu! Ich bin der Überzeugung, dass dies ebenso gut auf das Musikmachen zutrifft. Es ist eine Frage des Bewusstseins und Zulassens, des sich getrauen und zutrauen. Es hat nicht viel zu tun mit kommerziell ausgerichteten Kunstformen, welche allzu oft auf ungesunde Weise bis zum Exzess in die Perfektion getrieben werden, ohne Rücksicht auf das Wesentliche, auf den Menschen, der/die zu sein, die wir sind, mit all den wunderbaren Ausdrucksformen.

 

 

 

8.4 Monika Renz / Zwischen Urangst und Urvertrauen

 

In diesem Buch schreibt Monika Renz von Therapie früher Störungen über Musik-, Symbol- und spirituelle Erfahrungen. Obwohl ich bei MmD nicht therapeutisch arbeite, gibt es viele interessante Ansätze aus dem Bereich Musiktherapie. Die Bedeutung von Klängen ist für uns Menschen in allen Entwicklungsstufen zentral. Egal ob gesunde, kranke oder sterbende Menschen, mit Klang können wir in Verbindung treten, in Bezug sein miteinander, auch ohne Worte. Das Urvertrauen, was speziell auch MmD so sehr brauchen, kann über Rhythmus und Klang genährt werden durch gemeinsames Schwingen und in Resonanz sein. Nicht im therapeutischen Sinne mit nachhaltiger Verbesserung eines Krankheitszustandes als solcher, sondern mit Ankommen im Hier und Jetzt und dem Annehmen des Seins. Ich bin in der Ordnung drin und also selbst in meinem Wesentlichen in Ordnung (Monika Renz).

 

 

 

8.5 Reinhard Flatischler / TaKeTiNa Ur-Kraft Rhythmus

 

Die Ausbildung körperorientierte Musik ist stark beeinflusst von Reinhard Flatischler und seinem TaKeTiNa Rhythmussystem. Einige sehr interessante Ansätze sind für die Arbeit mit MmD von Bedeutung. Unter anderem schreibt er über seine Erfahrungen von Rhythmus und chronisch kranken Menschen. Hierzu ein Zitat-Ausschnitt: Menschen in akuten Krisensituationen oder depressiven Menschen fehlt der Kontakt zum Boden sowie der Zugang zur lebendigen Flexibilität. Den Ausdruck (bodenlose Angst) kann man also wörtlich nehmen: Es ist ein Zustand, indem man der Angst nichts mehr entgegenzusetzen hat. Die meisten bewegen sich entweder erregt oder wirken wie eingefroren. Wenn es gelingt, diese Menschen in einen Rhythmus einfacher Schritte zu führen und sie an die Kraft des rhythmischen Feldes anzubinden, setzt eine dynamische Erdung ein, durch die sich beide Extreme – die Übererregbarkeit und das Eingefrorene-Sein allmählich balancieren. (Reinhard Flatischler, TaKeTiNa, Ur-Kraft Rhythmus S.35).

 

 

 

8.6 Die Ursprünge der Person-zentrierten Pflege

 

Person-zentrierte Pflege geht auf das Werk von Carl Rogers (Rogers 1961) und auf dessen Klienten-zentrierte Beratung zurück. Der vor einigen Jahren verstorbene Tom Kitwood, Professor an der Universität Bradford und Begründer Bradford Dementia Group, hat den Begriff erstmals im Zusammenhang mit Menschen mit Demenz verwendet. (Dawn Brooker). Die Arbeit in unserer Tagesstätte ist stark geprägt von den wegweisenden Ansätzen Person-zentrierter Pflege und Betreuung nach Kitwood.

 

 

 

9 Überprüfung, Reflektion

 

Während der Planungs-, der Versuchs- und der Zeit nach der eigentlichen Startphase sollte der Klangraum in regelmässigen Abständen überprüft und reflektiert werden. Somit können Veränderungen berücksichtigt werden, wie zum Beispiel Wechsel der Tagesgäste oder des Betreuungspersonals. Auch eine beständige Weiterentwicklung kann dadurch gewährleistet werden. Dazu habe ich mir folgende Mittel ausgewählt.

 

9.1 Methoden

 

-          Die Bedürfnisse von MmD nach Kitwood, Umsetzung in die Praxis

 

-          Praxisbeobachtungen, Fallbeispiele dokumentieren

 

-          Individuelle Planung der Aktivitäten im Klangraum und Auswertung nach Kitwood

 

-          Befragung von Nutzern, Betreuenden und externen Beobachter/Innen, Besuchern

 

-          Thematisieren in Teamsitzung

 

 

 

9.2 Fragestellung

 

  • Werden Menschen mit kognitiven Behinderungen und diejenigen die sie begleiten wertgeschätzt?

  • Individuelle Planung der Aktivitäten im Klangraum: Werden die Menschen als Individuen wahrgenommen, behandelt und gefördert?

  • Berücksichtigung von Lebensgeschichte, persönlichen Gegenständen, Stärken, Schwächen, Bedürfnissen, Vorlieben, Abneigungen.

  • Gibt es Platz, Raum, Infrastruktur?

  • Wie steht es mit der räumlichen Umgebung, Temperatur, Licht Stimmung und Raumakustik?

  • Ist Zeit zur Verfügung? Nehme ich mir diese? Wird diese vom Betrieb zur Verfügung gestellt?

  • Bestehen Möglichkeiten von Wiedererkennungseffekten bezüglich eigener Biografie-Themen?

  • Inwiefern kann ich mich als Begleitperson in die Lage des Gastes hineinfühlen. Kann ich die Klangwelt aus dem Blickwinkel der Person mit Demenz betrachten?

  • Werden Nutzer/innen nach ihrer Zustimmung und Meinung gefragt?

  • Lasse ich deren Worte, Gestik, Mimik einfliessen in anstehende Entscheidungen?

  • Berücksichtige ich die physische Gesundheit, respektive körperliche Einschränkungen, Schmerz-, Seh- oder Hörprobleme?

  • Herausforderndes Verhalten: Wie gehe ich damit um, analysiere ich dies um möglichen Ursachen auf die Spur zu kommen? Was löst es bei mir persönlich aus? Was mache ich damit?

  • Wie werden die Rechte eines Individuums geschützt, wenn die Handlung eines dementiell veränderten Individuums mit der Sicherheit und dem Wohlergehen Anderer in Konflikt geraten?

  • Inklusion: Wird der Gast ins Musizieren, Bewegen zu zweit oder in der Gruppe einbezogen, oder droht ihm ausgeschlossen zu sein?

  • Werden alle mit Respekt behandelt? Wird niemand durch Zurechtweisung oder Etikettierung herabgewürdigt?

  • Ist ein Klima emotionaler Wärme spürbar? Drücken die Nutzer ein Gefühl von Geborgenheit und Wohlbefinden aus? Wenn ja, in welcher Form und mit welchen Mitteln?

  • Validation: Werden die Ängste oder auch Aggressionen und Trauer der Menschen ernst genommen? Dürfen diese ausgelebt werden? Werden Menschen, welche negativen Stress erleben, alleine gelassen oder werden sie in diesen Gefühlen empathisch begleitet?

  • Ermöglichen: Unterstützen die Begleitpersonen Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, damit diese selbst Sorge für sich übernehmen und aktiv sein können?

  • Öffentlichkeitsarbeit: Sind wir Teil eines Gemeinwesens?

 

 

 

Dieser Fragebogen kann und soll weiter ergänzt werden, da im Laufe der Praxis neue Menschen neue Situationen und neue Fragen aufwerfen und somit eine lebendige Reflektion und Überprüfung ermöglicht wird.

 

 

 

 

 

 

 

Teil der Gruppe sein. Wertschätzung erfahren als vorspielende und auch als zuhörende Person. Wahrnehmen, wahrgenommen werden. In Beziehung sein. Sich sinnvoll Betätigen. Danach gemeinsam feiern.

 

 

 

 

 

 

 

9.3 Zusammenfassend

 

Die Arbeit im Klangraum in der Tagesstätte im Atrium ermöglicht den Menschen mit Demenz eigenwirksam und selbstbestimmend zu sein. Sie können ihre Gefühle ausdrücken und ihre Emotionen leben. Ihr eigenes Wesen bekommt dank der Resonanz eine Gestalt. Das gemeinsame Klingen, Bewegen und Zuhören lässt sie ein wichtiger Teil einer Gruppe sein.

 

Gemeinsames Feiern fern von jeglichem Leistungsdruck wirkt sehr entspannend und zutiefst berührend. Ein Gefühl von Verbundenheit entsteht. Der Klangraum bietet sich als Zeitfenster an und kann eine Erholung vom Alltag bedeuten, sofern der Tagesgast sich darauf einlässt. Von den ca. 40 Tagesgästen, die ich während der Zeitspanne von Beginn bis Abschluss der Diplomarbeit erfassen konnte, profitierten ca. 2/3 und ca. die Hälfte aller Gäste liessen sich regelmässig gerne auf gemeinsame Begehungen im Klangraum ein. Die urmenschlichen Bedürfnisse nach Kitwood werden erfüllt und die 1. Ausgangshypothese ist somit bestätigt. Die 2. Ausgangshypothese: Interaktion und klare Führung sind von grosser Bedeutung, Bindung und Vertrauen lässt Neues entstehen. Dies konnte auch bestätigt werden. Massgebend für eine sinnvolle Führung sind Qualitäten wie: Aufmerksamkeit und Feinfühligkeit, den Menschen mit Demenz individuell zu verstehen, abzuholen und in seinem Wesen entsprechend zu unterstützen sowie zu bestärken. Eine wichtige Voraussetzung besteht auch darin, dass die führende Person praktische und theoretische Grundkenntnisse im Klang- und Bewegungsraum-Schaffen hat. Genauso wichtig sind Grundkenntnisse und Erfahrung im person-zentrierten Begleiten von Menschen mit Demenz. Der Klang- und Bewegungsraum wird weiterhin regelmässig genutzt und ist mittlerweile ein fester Bestandteil des Angebots in der Tagesstätte.

 

 

 

 

 

              

 

 

 

 

 

9.4 Literaturverzeichnis

 

Brooker Dawn 2008                                                                                                                     
Person-zentriert pflegen aus dem Englischen übersetzt von Gabriele Kreutzner,
Verlag Huber Bern

 

Decker-Voigt Hans-Helmut 2008                                                                                                       
Mit Musik ins Leben, Ernst Reinhardt Verlag München

 

European Kinaesthetics Association 2008                                                                      
Kinaesthetics Konzeptsystem, & Kinaesthetics Lernen und Bewegungskompetenz,
AT 4040 Linz

 

Flatischler Reinhard 2009                                                                                                        
TaKeTiNa Ur-Kraft Rhythmus, Junfermann Verlag Paderborn

 

Gindl Barbara 2002                                                                                                                      
Anklang – die Resonanz der Seele. Über ein Grundprinzip therapeutischer Beziehung – Paderborn: Junfermann

 

Halprin Anna                                                                                                                                        
Film von Ruedi Gerber, Seniors Rocking (Alter schützt vor Tanzen nicht)                                         

 

Halprin Anna 1997                                                                                                      
Bewegungsritual: tänzerische Meditationsübungen. Aus dem Amerikan. Von Antonia Fäh. München: Hugendubel (Irisiana)

 

Kitwood Tom2000                                                                                                                      
Demenz. Der personenzentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten Menschen. Deutschsprachige Ausgabe herausgegeben von Christian Müller-Hergl. Verlag Hans Huber Bern